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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour
Autoren: Robert Merle
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Gegenteil. Erst in Verbindung mit dem ganzen Gesicht bekommen sie ihren drohenden Ausdruck.
    Aber nachdem ich deutlich die Gedanken meiner Kopassagiere gehört habe, will ich mich nicht etwa genieren. Ich sehe sie mir der Reihe nach in aller Ruhe an, von links nach rechts.
    Dem Exit am nächsten sitzt die Stewardess. Sie hat ihr Käppi abgenommen und ihr blondes Haar mit graziöser Gebärde glattgestrichen; den ihr anvertrauten Passagieren schenkt sie interessierte Blicke.
    Zu ihrer Rechten eine aufgetakelte blonde Frau in einem imposanten, maßgeschneiderten grünen Kleid mit schwarzem Rankenmuster, wenig diskret mit Schmuck behängt; daneben ein junges Mädchen ohne Begleitung; dann in Reihenfolge ein schöner Italiener; ein hinreißender Homosexueller deutscher Nationalität; zwei sehr distinguierte Damen, die zusammen reisen, zwei Witwen vermutlich, Amerikanerin die eine, Französin die andere, und letztere trotz ihrer vornehmen Art wenig zurückhaltend. Denn sie wendet die Augen nicht ab, wenn unsere Blicke sich begegnen. Statt dessen reagiert sie so, als wäre ihr der Gedanke, irgendwo im Dschungel von einem behaarten Affen ein bißchen vergewaltigt zu werden, nicht unangenehm.
    Als letzte im linken Halbkreis schließlich eine Dame, deren Gesicht eine Symphonie in Gelb ist. Sie ist mir von Anfang anso unsympathisch, daß ich froh bin, durch den Mittelgang, der in die Touristenklasse führt, von ihr getrennt zu sein.
    Auf meiner Seite, das heißt im rechten Halbkreis, Männer: ein Amerikaner, drei Franzosen, ich, der ich Brite bin – zumindest ist England meine Wahlheimat, denn geboren bin ich in Kiew als Sohn einer deutschen Mutter und eines ukrainischen Vaters; eine vulgäre Person, die eine griechische Zeitung liest; und schließlich ein indisches Paar: die einzigen, die mich nicht fixiert haben, als ich das Flugzeug betrat. Überhaupt sehen sie niemand an, machen den Mund nicht auf und sind regungslos wie Statuen. Beide, die Frau und der Mann, sind sehr schön. Wenn das Wort »rassig« einen Sinn hat, sollte man es auf sie anwenden.
    Das Schauspiel, das mir meine Reisegefährten bieten, hat mich abgelenkt, aber meine Unruhe nicht zerstreut. Ich denke unablässig an meine Koffer. Mit Beklemmung sehe ich sie noch immer im Aufzug verschwinden. Und ich bereue bitterlich, daß ich mich von der Stewardess habe nasführen lassen, obwohl ich genau wußte, daß unten kein einziger Mensch war, das Gepäck in Empfang zu nehmen.
    Ich bin in solcher Sorge, daß ich nicht merke, wie das Flugzeug abhebt. Erst als die anderen Passagiere ihre Gurte lösen, wird es mir bewußt. Wir sind in der Luft. Vielleicht haben wir bereits die vorschriftsmäßige Höhe erreicht. Das Verhalten der Passagiere scheint darauf hinzudeuten. Sie laufen hin und her, schneuzen sich, wühlen in ihrem Handgepäck, falten Zeitungen auseinander. Die Männer lockern ihre Krawatten, die korpulenten knöpfen ihre Jacketts auf, und die Frauen ordnen ihre Frisur.
    Inmitten dieser beruhigenden Geschäftigkeit macht mich eines betroffen: ich höre die Motoren nicht oder jedenfalls kaum. Nur wenn ich meine Aufmerksamkeit anspanne, nehme ich ein schwaches, ein sehr schwaches Summen wahr, wie von einem Kühlschrank, der sich wieder einschaltet. Ich frage mich, ob nicht der Luftdruck mein Trommelfell in Mitleidenschaft gezogen hat, und stecke meinen kleinen Finger ins rechte Ohr.
    So unauffällig meine Bewegung ist, entgeht sie doch nicht meiner Nachbarin zur Linken, die einen Blick voll niederschmetternder Verachtung auf mich abschießt; ich nehme meinenFinger sofort zurück und stecke meine schuldige Hand in die Tasche. Offensichtlich ist es nicht nur von Vorteil, in einer Runde zu sitzen.
    Gleich darauf bedaure ich, so schnell kapituliert zu haben, und beschließe meinerseits, die Medusa, die mich in Stein verwandelt hatte, unter die Lupe zu nehmen. Leider sieht sie mich nicht. Sie versucht gerade, mit kleinen Handbewegungen die Aufmerksamkeit der Stewardess auf sich zu lenken.
    Ihr Äußeres gefällt mir nicht, um es bei diesen Worten zu belassen. Sie mag zwischen vierzig und fünfzig sein, aber die Reife hat sie ausgetrocknet und verhärtet, anstatt ihr Figur zu geben. Mit den Rundungen ist es bei ihr sicherlich vorbei. Ein Skelett. Sie trägt ein bequemes graues Tweedkostüm, das ihrer Figur jedoch nichts Molliges zu geben vermag. Dünnes Haar von unbestimmter Farbe, über einer ziemlich niedrigen, aber eigenwilligen Stirn nach hinten gekämmt. Breite
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