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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour
Autoren: Robert Merle
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unannehmbar!«
    »Hören Sie,
brother «
, sagt einer der Passagiere auf englisch, aber mit starkem amerikanischem Akzent, »wollen Sie über alles diskutieren? Wir haben Ihretwegen lange genug warten müssen. Spucken Sie schon Ihre Moneten aus, und die Sache ist erledigt.«
    Ich überhöre diese flegelhafte Einmischung, aber die mißbilligenden Blicke der anderen Fluggäste und auch die bekümmerten und geduldigen Augen der Stewardess kann ich nicht völlig ignorieren. Ich hole meine Brieftasche heraus und zähle sorgfältig den Inhalt.
    »Es wäre vielleicht einfacher, mir die ganze Brieftasche anzuvertrauen«, sagt die Stewardess.
    »Wie Sie wollen«, sage ich widerstrebend. »Muß ich Ihnen auch meine Reiseschecks geben?«
    »Ich wollte Sie darum bitten.«
    Und sie entfernt sich mit allem. Ich sehe ihr mit einer gewissen Bestürzung nach. Ich fühle mich ausgeplündert: ich habe keinen Ausweis mehr, kein Geld, und ich bin nicht einmal sicher, ob sich meine Koffer im Gepäckraum befinden.
    Als die Stewardess gegangen ist und ich nicht mehr unter dem Einfluß ihres Blicks stehe, bemerke ich, daß sie mir keineQuittung gegeben hat. Ich rufe sie zurück. Höflich verlange ich die Quittung. Sie stellt sie aus.
    »Bitte, Mr. Sergius«, sagt sie mit nachsichtigem Lächeln.
    Und wie ich das Papier in Händen halte, gibt sie mir mit dem Handrücken einen leichten Klaps auf die Wange, halb ein Schlag, halb ein Streicheln. Eine Vertraulichkeit, die mich nicht etwa demütigt, sondern mir gefällt.
    Die anderen Passagiere mustern mich, vielleicht wegen dieser Szene, vielleicht weil mein Äußeres sie in Erstaunen setzt. Und die ungewöhnliche Anordnung der Sitze macht es ihnen leicht, mich zu beobachten. Die Sessel sind in der Tat nicht wie gewöhnlich hintereinander angeordnet, sondern kreisförmig, wie in einem Wartesaal. Der einzige Unterschied: sie sind am Boden befestigt und mit einem Sicherheitsgurt versehen.
    Ich bin die Zielscheibe dieses Kreises und gerate wie jedesmal, wenn man mich so anstarrt, in Verlegenheit.
    Ich weiß nicht, ob andere verstehen können, wie schrecklich es ist, häßlich zu sein. Von dem Augenblick an, da ich aufstehe und mich vor dem Spiegel rasiere, bis zu dem Augenblick, da ich mir die Zähne putze und ins Bett gehe, vergesse ich keine Sekunde, daß mir die untere Hälfte meines Gesichts von der Nase abwärts eine fatale Ähnlichkeit mit einem Affen verleiht. Wenn ich es einmal vergesse, erinnern mich die Blicke meiner Zeitgenossen daran. Oh, sie brauchen nicht einmal den Mund aufzumachen! Wo immer ich bin – sobald ich einen Raum betrete, genügt es, daß die Leute ihre Blicke auf mich richten: ich
höre
sofort, was sie denken.
    Ich möchte mein Äußeres wie eine alte Haut von mir reißen. Es verleiht mir ein unerträgliches Gefühl der Ungerechtigkeit. Alles, was ich bin, was ich mache, was ich geleistet habe – sportliche und gesellschaftliche Erfolge, Sprachforschungen –, alles das zählt nicht. Ein einziger Blick auf meinen Mund und mein Kinn, und ich bin abgewertet. Daß der lüsterne, tierische Charakter meiner Physiognomie durch den menschlichen Ausdruck meiner Augen Lügen gestraft wird, fällt kaum ins Gewicht. Die Leute klammern sich an meine entstellte untere Gesichtshälfte und fällen ein unwiderrufliches Urteil.
    Ich höre ihre Gedanken, sagte ich. Sobald ich auftauche, höre ich sie in ihrem Innern rufen: Ein Orang-Utan! Und ich fühle mich sogleich als Zielscheibe des Spotts.
    Die Ironie will es, daß ich zwar häßlich bin, aber gleichermaßen empfänglich für die menschliche Schönheit. Ein hübsches Mädchen, ein niedliches Kind entzücken mich. Aus Furcht jedoch, die Kinder zu erschrecken, wage ich nicht, mich ihnen zu nähern. Und selten nur den Frauen. Dabei haben die Tiere, in die ich geradezu vernarrt bin, keine Angst vor mir und werden sehr schnell mit mir vertraut, wie auch ich mich in ihrer Nähe wohl fühle. Ich lese nichts Demütigendes in ihren Augen. Nur Zuneigung, die sie verlangen und erwidern. Ach, wie schön wäre die Welt und wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn die Menschen den Blick der Pferde haben könnten!
    Ich reiße mich zusammen, hebe die Lider und schaue meinerseits meine Betrachter an. Mit der Heuchelei von Leuten, die man ertappt, wenn sie einen anstarren, wenden sie sofort die Augen ab, setzen eine gleichgültige Miene auf – und das um so schneller, als meine Fratze ihnen angst macht. Meine Augen sind keineswegs grimmig, ganz im
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