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Madrapour - Merle, R: Madrapour

Madrapour - Merle, R: Madrapour

Titel: Madrapour - Merle, R: Madrapour
Autoren: Robert Merle
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nicht mehr allein in der gläsernen Wüste von Roissy. Eine Hostess ist aufgetaucht.
    Als ich das erstemal an diesem Schalter vorbeigegangen bin, habe ich flüchtig hingesehen, und ich bin sicher, daß er leer war. Und plötzlich, als ich das zweitemal vorbeikomme, taucht die Hostess auf, blond, klein, grünäugig, ihr Käppi auf dem Kopf. Ich will ihr Auftauchen nicht mystifizieren. Meine Flugreise nach Madrapour gibt mir schon genug Probleme auf. Es mag sein, daß sich die Hostess beim erstenmal gebückt hatte, um in ihrer Tasche zu kramen, und durch den Schalter meinen Blicken verborgen war.
    Während ich meinen Handgepäckwagen schwungvoll in ihre Richtung schiebe, wird mir anderseits klar, daß die Gegenwart dieses Mädchens – eben weil es der einzige Mensch ist in dieser Wüste – den unwirklichen Charakter der Situation noch unterstreicht.
    Die Hostess ist jedenfalls kein Gespenst. Ich sehe sie leibhaftig vor mir: zum Anbeißen.
    Und ich sehe auf den ersten Blick: was die äußeren Reize anbelangt – mit ihren Grenzen, aber auch mit ihrem Charme, dem sich niemand verschließen kann und den deshalb auch niemand bestreitet –, ist diese Hostess außer Konkurrenz. Sie gehört zu jener Sorte Mädchen, die von den anderen Frauen mit unerbittlichem Blick in Stücke gerissen und von den Männern mit den Augen verschlungen werden. Und ich teile trotz meiner Besorgnis das übliche Schicksal.
    Dabei weiß ich, was es mit der Schönheit der Hostessen auf sich hat: ein Bonbon für die Augen, das die Fluggesellschaften Ihnen zu lutschen geben, um Ihnen die Angst beim Starten zu versüßen.
    Und trotzdem funktioniert die Falle. Ich habe der Hostess so viele Fragen zu stellen und stelle ihr, wenigstens in diesemMoment, keine einzige. Den Blick auf ihr reizendes Gesicht geheftet, reiche ich ihr mein Ticket.
    »Sie sind Mr. Sergius?« fragte sie in einem Englisch, das mich entzückt, so schlecht ist die Aussprache.
    »Yes«, antworte ich beinahe überflüssigerweise und füge auf französisch hinzu: »Was ist los? Ein Streik?«
    »Sie haben sich verspätet«, sagt sie lächelnd. »Alle anderen Passagiere sind schon an Bord.«
    »Aber ich habe noch keine der Formalitäten erledigen können: Zoll, Polizei …«, sage ich ziemlich verstört.
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagt sie und lächelt wieder, diesmal ohne die übliche berufsbedingte Mimik. Ihr Lächeln ist freundschaftlich, fast zärtlich.
    Es trifft mich wie ein Schock, und ich bin endgültig betäubt.
    »Ihre Koffer hätten Sie unten lassen sollen!« fährt sie unvermittelt fort. »Hier kommt man nur mit dem Handgepäck durch.«
    »Unten?« frage ich. »Aber unten ist doch niemand!«
    Und ich staune über meine Stimme, meinen Tonfall: da ist fast nichts von einem Protest. Oder so schwach, daß er nicht zum Tragen kommt.
    Die Hostess sieht mich mit ihren grünen Augen an und zieht mit ihren Kinderlippen einen kleinen Flunsch.
    »Meinen Sie wirklich?« sagt sie. »Kommen Sie, wir schaffen die Koffer wieder nach unten.«
    Sie kommt hinter ihrem Schalter hervor und geht mir voraus. Ich sehe sie jetzt richtig. Sie ist klein, zierlich, hat einen vollen Busen und lange Beine. Ich folge ihr mit meinem Handgepäckwagen.
    Sie drückt einen Knopf, dann einen anderen.
    »Der erste Knopf ist für den Gepäckträger.«
    »Aber unten ist doch niemand«, wiederhole ich ziemlich kleinlaut.
    Sie lächelt, ohne zu antworten. Die Tür des Aufzugs öffnet sich, und die Hostess sagt, zur Eile drängend:
    »Schnell, bevor die Tür zugeht! Schieben Sie den Handgepäckwagen hinein! Nicht doch«, fährt sie fort und faßt mich am Arm, »bloß den Handgepäckwagen! Sie bleiben oben! Behalten Sie nur Ihre Aktentasche!«
    Ich gehorche mit zugeschnürter Kehle. Die Tür schließt sich, und ich höre den Aufzug nach unten gleiten.
    Ich stehe wie angewurzelt da. In dieser Minute bin ich richtig verzweifelt: ich habe das deutliche Empfinden, weder meine Koffer noch die wertvollen Nachschlagewerke, die ich für meine Madrapour-Studien eingepackt hatte, jemals wiederzusehen.
    Indessen hat die Hostess ihre kleine Hand auf meinen Arm gelegt und sieht mich mit ihren grünen Augen unverwandt an.
    »Kommen Sie, Mr. Sergius«, sagt sie in drängendem Ton. »Wir haben Ihretwegen große Verspätung. Die Chartermaschine wartet auf Sie.«
    »Auf mich?« frage ich zweifelnd.
    Sie antwortet nicht. Sie dreht sich um und biegt vor mir in jene Ziehharmonika ein, durch welche die Reisenden direkt ins Flugzeug
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