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Madonna

Madonna

Titel: Madonna
Autoren: Kathrin Lange
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aber es war inzwischen ein guter Schmerz, einer, der von Heilung kündete, nicht von Fieber und Tod. Richard legte die rechte Hand auf den Verband, den er noch immer unter seinem Hemd trug. Dabei konnte erseinen eigenen Pulsschlag fühlen. Ruhig und kräftig pochte sein Herz unter der warmen Haut.
    Er warf einen Blick auf Katharina. Ich bin bald wieder da!, dachte er. Dann wandte er sich an Arnulf. »Also. Bring mich, wohin auch immer du geplant hast!«
    Erst dachte er, der Nachtrabe würde ihn in die »Krumme Diele« führen, aber dann ließen sie die kleine Sackgasse links liegen, an deren Ende sich das Gasthaus befand, und gingen stattdessen den steilen Weg hinauf, der zur Burg führte. Vor dem Luginsland – einem Turm, den die Nürnberger Bürger ursprünglich dazu erbaut hatten, die Burggrafen zu überwachen – blieb Arnulf stehen. Seit die Stadt die Burg gekauft hatte, diente der trutzige Turm als Narrenhäuslein, als Gefängnis, in dem geistig verwirrte Menschen eingekerkert wurden.
    »Was wollen wir hier?«, fragte Richard.
    Arnulf blickte an der hoch aufragenden steinernen Fassade nach oben. »Spindler einen Besuch abstatten!« Er hob eine Faust und schlug gegen die massive Eingangstür. »Es gibt noch einige offene Fragen.«
    In einer der ehemaligen Schießscharten über ihren Köpfen erschien das Gesicht eines Mannes, der in Richards Augen sehr jung aussah dafür, dass er schon das Amt eines Eisenmeisters, eines Kerkeraufsehers, innehatte. Seine Haare standen wirr und zerzaust in alle Himmelsrichtungen ab. »Was wollt Ihr?«, rief er nicht besonders freundlich.
    »Wir kommen, um Dr. Spindler zu besuchen!«, erklärte Arnulf ihm. Er löste einen ledernen Beutel vom Gürtel und hielt ihn mit ausgestrecktem Arm in die Höhe. Gewöhnlich brauchte es eine Genehmigung vom Stadtrat, wenn man einen der hier Eingekerkerten besuchen wollte. Arnulf jedoch war geübt darin, dieses Gesetz zu umgehen. Und seine Geldbeutel leisteten ihm dabei jedesmal gute Dienste.
    So auch heute.
    Der Eisenmeister zögerte nur einen Moment. Dann nickte er. »Ich komme!« Sein strubbeliger Kopf verschwand, und es dauerte eine Weile, bis der Mann den langen Weg nach unten zurückgelegt hatte.
    Die Tür schwang auf, der Eisenmeister streckte die Hand aus. »Kommt herein!«, grinste er, als Arnulf den Beutel hatte hineinfallen lassen.
    Sie schritten eine steile Treppe hinauf, vorbei an einer Zelle, dieleerstand, und einer zweiten, aus der sie eine Frau mit wirrem Blick und zerrauften Haaren durch ein winziges Guckloch hindurch anstarrte. Richard konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie dem Eisenmeister irgendwie ähnlich sah.
    In der dritten Zelle, der obersten, die nicht wie die ersten beiden mit dicken Holztüren, sondern stattdessen mit einem Eisengitter verschlossen war, saß Jakob Spindler ein. Anders, als Richard erwartet hatte, hatte man ihn nicht mit Eisenketten an die Wand gefesselt. Er konnte sich in seiner kleinen Zelle frei bewegen, und er besaß außer einem Bett und einem Nachttopf auch einen unbequem aussehenden Schemel und sogar ein Waschgeschirr.
    Als Richard und Arnulf vor seine Zelle hintraten, saß er mit lang ausgestreckten Beinen auf seinem Bett und zeichnete mit etwas, das wie ein Hühnerknochen aussah, feine Linien in den groben Verputz neben sich.
    »Du hast Besuch!«, sagte der Eisenmeister grob zu ihm. Wie leicht konnte ein Mann von der hochangesehenen Stellung eines Priesters hinabsinken zu einem Wesen, dem man nicht einmal mehr ein Mindestmaß an Respekt zollte, stellte Richard mit Unbehagen fest.
    Spindler reagierte nicht sofort, sondern beendete erst noch die Linie, mit deren Schwung er gerade beschäftigt war. Hier oben befanden sich mehrere kleine Fenster, und so fiel genügend Licht auf die Wandzeichnung, sodass Richard erkennen konnte, was sie darstellte. Es war eine Frauengestalt mit einem großen, etwas unregelmäßig geratenen Heiligenschein. Das Kind, das sie auf dem Arm trug, war erst halb fertig. Eine Madonna.
    Richard fröstelte.
    Spindler ließ den Knochen sinken und wandte den Kopf. »Oh!«, sagte er. Ein Lächeln teilte seine Lippen. »Ihr.«
    Arnulf legte die Hände um zwei Eisenstangen. »Wir sind hier, weil wir noch ein paar Fragen an Euch haben.«
    Spindler nickte. Das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch und machte einem Ausdruck von Konzentration Platz. Er wirkte nicht ein bisschen irre, fand Richard, aber irgendwie seltsam kindlich.
    »Fragt«, sagte der Priester. »Ich habe
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