Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Autoren: Patricia Kaas
Vom Netzwerk:
ihn nur mit Mühe auf die Zuschauertribüne zurück. Papa gehört zu den Enthusiasten.
    Â 
    Maman erscheint im Vergleich dazu sehr reserviert. Ausgehen, Exzesse, fremde Leute, das ist nichts für sie. Sie bleibt lieber im Familienkreis, da fühlt sie sich wohl. Ihre Zurückhaltung steht im Kontrast zu Papas Überschwang. Ihr Hobby sind die deutschen Illustrierten, in denen das Leben der Stars
und der gekrönten Häupter bis ins letzte Detail geschildert wird. Über Papas Arbeitgeber hat sie ein günstiges Abonnement, sie kann unter mehreren Zeitschriften auswählen und sich im Verlauf des Abonnements sogar noch einmal umentscheiden. Sie liest die Blätter langsam, damit sie länger etwas davon hat, mindestens bis die nächsten kommen. Meine Mutter hat ohnehin wenig freie Zeit, es bleibt ihr gar nichts anderes übrig, als sie langsam zu lesen, denn oft kann sie sie nicht zur Hand nehmen. Häufiger als Zeitschriften hat sie einen Besen, Lappen oder Wäschestapel in der Hand. Im Haus gibt es immer etwas zu tun, selbst jetzt, wo die Großen ausgezogen sind. Außerdem passt sie auf, dass alles tadellos ist, aufgeräumt und sauber. Alles im Haus ist blitzblank. Als erwarte sie Besuch von einem ihrer Idole, beispielsweise von Grace Kelly, der perfekten Kreuzung von Hochadel und Hollywood, diesen beiden Welten, deren Entwicklungen Maman aufmerksam verfolgt. Übrigens hat ebendiese blonde Schönheit in Monaco meine Mutter zu meinem Vornamen inspiriert. Grace Kelly wird in den deutschen Illustrierten »Grazia Patrizia« genannt.

3
Paddy Pax
    Jetzt kommen die schönen Tage wieder, und mit ihnen die Kirmes. Die Raupe, die man schon von Weitem sieht, Geisterbahn, Autoskooter, Schießbude, große rosa und grüne Plüschtiere, Wahrsageautomat  – nichts fehlt. Seit sie gestern in die Stadt gekommen sind, halte ich es kaum aus vor Aufregung.
    Irmgard räumt noch in der Küche auf, wo sie das grelle Neonlicht ausgeschaltet hat, da hört sie durch das offene Fenster vom Kirmesplatz her eine vertraute Stimme, die sie stutzig macht. Diese Stimme, tief und zugleich jung, singt …
    Zuerst erkennt meine Mutter das Lied von Claude François, dann meine Stimme. »Aber das ist doch Patti!«, ruft sie und weckt damit meinen Vater, der im Sessel döst. Sie wird nicht mit mir schimpfen, weil ich weggelaufen bin, ohne Bescheid zu sagen, und gesungen habe, ohne es anzukündigen. Sie macht sich keine Sorgen, es ist ja nicht das erste Mal. Und inzwischen kennt sie Antoine, den Kirmeschef, und seine Schausteller.
    Und wirklich, sie mögen mich, wahrscheinlich finden sie mich rührend oder einmalig. Sie bitten mich zu singen. Ich bin die Kleine, die ein Liedchen schmettert, eine zusätzliche Attraktion. Zur Belohnung geben sie mir Bonbons und Freifahrscheine für den Autoskooter oder andere Fahrgeschäfte …
    Auf dem Markt, wo meine Schwester und ich beim Abbau der Stände helfen, erhalten wir als Lohn Eier und Käse. Für
Carine und mich ist das der erste bezahlte Job! Ich bin daran gewöhnt, dass man mir als Dank für mein Singen kleine Geschenke macht, Süßigkeiten oder andere Kleinigkeiten. Seit ich sechs bin, ist das so … Eines der ersten Male war zu Karneval in Forbach, meinem Geburtsort. Zusammen mit anderen Kindern ging ich verkleidet von Tür zu Tür und sang; es ist eine Tradition, ähnlich wie bei Halloween bekommen die Kinder, die durchs Viertel ziehen, Süßes geschenkt. Wir bekamen Faasekiechle, Fastnachtskrapfen, oder ein kleines Geldstück für etwas, das mir nicht anstrengend vorkam, das mir sogar Spaß machte. Ich kann mich zum Beispiel nicht erinnern, dass ich einen Text auswendig gelernt hätte oder eine Melodie. Ich habe zu Hause geübt, mit einem alten Plattenspieler. Ich legte Sheila oder Sylvie Vartan auf, stellte mich vor den Spiegel und sang mit.
    Ich mache es mit Hingabe, es ist keine Arbeit, eher ein Vergnügen. Es ist nicht so mühsam wie in die Schule gehen und sich in geblümter Bluse auf dem Stuhl langweilen müssen. Ich stelle mich zur Schau, und in meinem Alter ist das ein Spiel. Ich mag meine Stimme, und ich achte vor allem darauf, sie tief zu halten, schön weit unten: Ich fürchte die schrillen Töne  – wie die von Maman, wenn sie wütend wird. Oft höre ich: »Ich frage dich gar nicht erst, was du werden willst: bestimmt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher