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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Autoren: Patricia Kaas
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Freunden von ihnen mit. Man kennt sich schon aus der Nachbarschaft und organisiert kleine Konzerte auf den Festen in der Umgegend. So habe ich mit den Black Flowers, mit Erick Bernard, mit den Mephisto, den Bebop de Ville gesungen … Wir proben, hängen Plakate in den Geschäften auf, versuchen aufzutreten, wo es nur geht, zum Beispiel auf Bierfesten. Ende September zapft der Bürgermeister in den deutschen und in den Grenzdörfern das erste Bier des Jahres und probiert es. Alle tun es ihm nach, und dann fangen die Bierkrüge an zu kreisen. Zwei Wochen lang trinkt man auf das, was man trinkt: den Hopfen! Der ideale Rahmen für uns angehende Künstler.
    Daneben treffen wir uns auch häufig zum Proben. Wir haben uns darauf spezialisiert, alles zu machen. Das ersetzt den Gesangs- und Musikunterricht, an den ich aus finanziellen Gründen gar nicht denken darf. Je mehr ich auf der Bühne und sonst wo singe, desto mehr lerne ich. Nicht die Technik, die werde ich nie in den Griff bekommen, und ich will es auch gar nicht. Aber ich lerne, jede beliebige Note zu treffen, meine Stimme zu modulieren, sie dem, was ich interpretiere, anzupassen, auch laut zu singen, wenn es nötig ist. Mein großer Triumph ist, dass ich einen Song singen kann, der als schwierig gilt: »New York, New York«. Ich bin nicht Liza Minelli, aber ich glaube, ich mache meine Sache nicht schlecht.
    Jedenfalls besser als in der Schule. Ich habe nichts gegen das Collège , aber ich glaube, ich langweile mich da, ich habe
das vage Gefühl, dass ich da nichts zu suchen habe. Ich fühle mich wie fehl am Platz, eine Zugewanderte auf fremdem Boden. Ich habe auch nichts gegen meine Lehrer und sie nichts gegen mich, aber sie erscheinen mir fern. Da ich keine Rebellin bin, haben meine Lehrer kein Problem mit mir, zumeist bin ich ihnen so gleichgültig wie sie mir. Außer einem, an den ich mich noch erinnere und der mich mochte: ein Mathelehrer, Monsieur Muller, der sprach ein wenig mehr mit mir als die anderen. Dabei war er mit seinen buschigen Brauen und seiner Strenge der Schrecken der übrigen Klasse. Mich jedoch redete er mit »Mademoiselle Kaas« an und ließ mich ansonsten in Ruhe.
    Kurzum, ich bin kein Fan der Schule, und wenn ich mir morgens den langen Schultag vor Augen halte, bin ich ganz niedergeschlagen. Während ich meinen Kakao trinke, blicke ich auf die Küchenuhr, schließe im blendend weißen Licht der Neonröhren die Augen, und wenn ich sie wieder öffne, hoffe ich, dass die Zeiger auf die Zeit des Nachmittagsimbisses zeigen; ich möchte, dass sie sich schneller drehen und die Zeit einfach wegstoßen. Aber nein, es ist immer noch Morgen, ich muss immer noch los, schweren Herzens die Küche verlassen und zum Schulbus gehen, in dem sich auch weiter nichts ereignet. Außer an jenem besonderen Tag.
    Michaël, das ist so ein Großer, kräftig genug, den Anführer zu spielen. Er spuckt zum Zeitvertreib durchs Fenster nach einem alten Herrn, der auf der Straße vorbeikommt. Ich finde das unmöglich und erlaube mir, es ihm zu sagen. Das gefällt ihm gar nicht, er empfindet es als Frechheit, packt mich an den Haaren und schleudert mich zwischen den Klappsitzen hin und her. Eine Leichtigkeit für ihn. Schließlich ist er dreimal so groß und stark wie ich. Ich komme mit ein paar
Schrammen davon. Zu meinem Glück hat er es damit bewenden lassen! Als ich nach Hause komme, bin ich stolz, weil ich versucht habe, einen älteren Menschen zu verteidigen, und ganz sicher, dass meine Mutter mich für diese Heldentat loben wird. Doch sie schimpft mit mir. Sie wirft mir vor, ich hätte nur angegeben, als ich einen Stärkeren angriff, und nimmt mir das Versprechen ab, so etwas nie wieder zu tun.

4
Lehrzeit im Nachtklub
    Wenigstens in den Facetten der Spiegelkugel sieht man ein paar Details. Im kontaktfördernden Dämmerlicht hindern mich die Spots, der Zigarettenqualm und meine Müdigkeit daran, genau zu sehen, was im Saal vor sich geht. In den farbig aufleuchtenden kleinen Spiegeln erkenne ich eine Hand auf einer Hüfte, zwei Lippenpaare, die sich treffen, einen Arm, der sich um eine Taille legt. Dutzende von Paaren oder künftigen Paaren bewegen sich auf der Tanzfläche, eng umschlungen oder auf Abstand, erregt oder verzweifelt. Ich sehe sie und sehe sie nicht. Was sie angeht, sind sie nicht hier, um mich zu sehen. Ich singe, damit sie dazu tanzen
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