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Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Mademoiselle singt den Blues - mein Leben

Titel: Mademoiselle singt den Blues - mein Leben
Autoren: Patricia Kaas
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begeisterten Überschwang, die funkelnden Augen, Mamans Lächeln, Papas gerötetes Gesicht. Es ist herrlich, rund und sanft wie Schaum oder wie das Sinken einer Schneeflocke.
    Die Gerüche des Festmahls, die lärmende Freude und meine Familie, mein Clan. Ich schaue sie an, ich bin stolz auf meine Brüder und meine Schwester. Robert, der mit Papa, dem er ähnelt, ein Gespräch unter Männern führt, Egon, der mit Carine herumalbert, Raymond und Bruno, die Maman helfen, und Dany, der sich damit vergnügt, meine aschblonden Zöpfe hochzuziehen. Die sechs haben die gleichen blauen Augen, bei manchen ist das Blau ein wenig heller. Ich bin der kleine Nachzügler. Ich bin acht Jahre alt. Meine Schwester ist zwölf, danach sind alle deutlich älter als ich. Ich bin lange nach der Serie von Brüdern gekommen. Maman wollte eigentlich ein Mädchen. Aber sie bekam fünf Jungs. Und da sie es schade fand, keine Tochter zu haben, erweiterte sie die Familie mit Carine auf acht Köpfe. Damit sollte es gut sein, aber dann kam ich, unverhofft, eine Zufallsschwangerschaft.
Als Kind des Frühlings, des wiedererwachenden Begehrens, kam ich am 5. Dezember zur Welt. Sieben Kinder, eine wahre Sippe, ein Kollektiv. Voller Harmonie, nicht nur an Weihnachtsabenden.
    Für Maman ist das natürlich alles andere als erholsam. Zumal sie ihre Rolle als Mutter einer kinderreichen Familie sehr ernst nimmt. Sie gibt uns zu essen, wäscht uns, liebt uns zärtlich, hört uns zu, pflegt uns, erzieht uns. Sie ist da. Wenn wir es brauchen, ist sie eine zärtliche Mutter, aber sie kann auch streng sein, wenn wir Kinder sie dazu zwingen. Sie ist imstande, uns morgens den Schulbesuch zu erlassen, wenn sie spürt, dass wir zu müde oder zu lustlos sind, aber sie kann auch überaus wütend werden, wenn sie unser Verhalten missbilligt. Maman hat Prinzipien: Man darf nicht lügen, man muss gerecht sein, muss Respekt haben … Sonst schreit sie. Wir fürchten ihre Zornausbrüche, denn sie sind laut und grell. Ihre Stimme klettert in die Höhe, wenn sie die Ruhe verliert, und kann so schrill werden, dass wir uns die Ohren zuhalten müssen. Wir versuchen, es ihr recht zu machen, auch, weil uns durchaus klar ist, wie hart sie arbeiten muss, um uns aufzuziehen. Mit geringen Mitteln und dem sehr bescheidenen Bergarbeiterlohn meines Vaters.
    Â 
    Maman ist hübsch heute Abend, sie trägt eine leicht glänzende weiße Bluse und einen schwarzen Rock, der ihre schlanken Beine gut zur Wirkung bringt. Sie hat ihre Schürze anbehalten, damit sie sich keinen Fleck macht, wenn sie nachher den Braten aufschneidet. Carine und ich haben uns im Badezimmer schön gemacht, bevor die anderen kamen. Meine Schwester meckerte, weil sie, der verhinderte Junge, sich wie ein Mädchen anziehen musste, mit Kleid und allem.
Ich hingegen war entzückt! Ich habe Maman sogar gebeten, mir ein bisschen Rouge auf die Wangen zu machen. Nagellack allerdings darf ich erst benutzen, wenn ich aufgehört habe, an den Nägeln zu kauen. Carine schimpft, sie findet ihr ärmelloses grünes Cordkleid mit dem weißen Unterziehpullover unbequem. Und wenn sie ihre Füße ansieht, kommen ihr fast die Tränen. Sie hasst ihre schwarzen Lackschuhe, die anscheinend zu klein sind, ganz so, als wären sie im Schrank geschrumpft. Ich bin auch sehr hübsch. Normalerweise verbiete ich Maman, sich um meine Haare zu kümmern. Als sie es das letzte Mal getan hat, wollte ich nicht zur Schule gehen, aus Angst, man würde mich hänseln. Wirklich, als Friseurin ist sie nicht sehr begabt, doch sie will es nicht einsehen. Es macht ihr ungeheuren Spaß, uns die Haare auf Lockenwickler zu drehen und uns stundenlang damit herumlaufen zu lassen. Wenn meine Schwester und ich dann in den Spiegel schauen, sehen wir aus wie dumme kleine Lämmchen. Heute Abend habe ich sie ausnahmsweise gebeten, mir Zöpfe zu flechten. Dabei nehme ich in Kauf, dass sie unterschiedlich dick werden und nicht gleich hoch sitzen, aber das ist mir schnuppe. Ich habe nämlich bemerkt, dass es an den Menschen sowieso nichts gibt, was symmetrisch wäre. Warum also sollten es dann meine Zöpfe sein?
    Meine Schwester kapituliert schließlich, und zehn Minuten später hat sie schon vergessen, dass ihre Schuhe kneifen und ihr Unterpullöverchen aus Acryl kratzig ist.
    Bis Egon, der aus allem einen Witz macht, sie wieder daran erinnert.
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