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Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Madame Zhou und der Fahrradfriseur

Titel: Madame Zhou und der Fahrradfriseur
Autoren: Landolf Scherzer
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worden.«
    Er war nach seiner Rückkehr vor 11 Jahren nicht mehr dort. Als ich ihn bedränge und wissen will, was heute auf dem Gelände steht, sagt er, dass wir auf dem Heimweg vorbeifahren können.
    Bevor er bezahlt, die 15 lukullischen Köstlichkeiten samt 6 Gläsern Bier kosten für jeden nur 8 Euro, gehe ich zur Toilette.
    An ihrer hinteren Wand befinden sich durch Seitenverschläge abgetrennte Buchten mit Fußabtritt und Loch dazwischen. Das kenne ich schon aus asiatischen und orientalischen Ländern. Das Pissoir daneben ist allerdings als geologisches Kunstwerk gestaltet. Die Wand hat man mit blauen, schieferähnlichen Steinkacheln gefliest, und darunter zieren blau angestrahlte Muscheln, Korallen und Steine die Pinkelrinne. Ich bin sehr gehemmt.
    Vor der Toilette steht eine Frau unter einem großen roten mit Goldkordeln geschmückten Lampion. Sie dreht mir zum Waschen den Wasserhahn auf, reicht mir ein Handtuch und gibt mir zum guten Schluss noch eine duftende Papierserviette. Es ist mir sehr peinlich, denn ich habe kein Geld einstecken, und versuche, ihr mit Händen und Füßen deutlich zu machen, dass ich sofort mit Geld zurückkomme. Sie versteht mich falsch, dreht mir lächelnd noch einmal den Wasserhahn auf, reicht mir das Handtuch, eine Papierserviette …
    Ich laufe sehr schnell zum Tisch, um Geld zu holen, und erzähle Klaus von meinem Missgeschick, aber er hindert mich daran zurückzugehen. »In China nimmt man meist kein Trinkgeld. Selbst wenn du das Wechselgeld auf dem Tisch liegen lässt, kann es passieren, dass dir der Kellner damit hinterherrennt.«
    Man behauptet, dass es seit der Mao-Zeit so üblich ist. Aber dieses moralische Prinzip der Revolution hätten sichviele chinesische Neureiche, Beamte, Politiker und Parteibosse nicht bewahrt.
    »Die können inzwischen nicht genug ›Almosen‹ in Form von Bestechungsgeldern einstecken.«
    Während der Fahrt zur ehemaligen DDR-Botschaft schweigt Klaus. In diesem rechtwinklig angelegten Viertel mit den von Anfang bis Ende überschaubaren gradlinigen Gassen und Straßen leuchten keine Glitzergirlanden. Nur wenige Laternen erhellen die meist niedrigen Botschaftsgebäude. An manchen erkenne ich trotzdem über der Umzäunung auch Stacheldraht.
    Klaus stoppt. »Hier müsste es gewesen sein.«
    Eisentor und Mauer verbergen das Haus dahinter.
    »Vielleicht doch weiter vorn?«, sage ich.
    Dort steht eine schon sehr alte, in der Dunkelheit wie ein verwunschenes englisches Landhaus aussehende Villa.
    »Nein, hier war es nicht.«
    Er fährt rückwärts und dann in eine andere Gasse. Aber auch dort findet er die wahrscheinlich wieder bebaute Stelle nicht mehr.
    »Wir versuchen es nächste Woche am Tag noch einmal.«
    Die Dunkelheit endet abrupt, als wir das Botschaftsviertel verlassen und wenig später durch die Barstraße fahren.
    Als er vor 11 Jahren in Peking ankam, standen in dieser Gegend noch Wohnhäuser und kleine Geschäfte. In den Tanzlokalen der Barstraße würden sich inzwischen auch Frauen, vor allem Mongolinnen und Russinnen, »illegal legal« prostituieren. Ich sollte mir dieses Viertel allerdings besser tagsüber anschauen. Erst vor kurzem sei ein junger Deutscher, der mit seiner chinesischen Freundin aus einem Tanzlokal kam, »verunglückt«. Seine Leiche hatten die Chinesen wochenlang beschlagnahmt, im Kühlhaus eingelagert und nicht erlaubt, sie nach Deutschland zu überführen.
    Wahrscheinlich könnte ich, wenn es mich interessiert, morgen mehr über diese Geschichte und die oft in Chinanicht einklagbaren Individualrechte erfahren. Morgen sind wir bei Frank zur Geburtstagsparty eingeladen, der mit einer Chinesin zusammenlebt.
    Als wir am Compound ankommen, ist es gleich 23 Uhr. Im Wachhäuschen am offenen Eingangstor brennt kein Licht. Doch im Scheinwerferlicht sehe ich, dass der Junge verstört und geblendet aus der Tür rennt, im Laufen versucht, den viel zu großen weiten Mantel zuzuknöpfen und stillzustehen. Aber er schaut nicht wie am Tag freundlich in das Wageninnere, sondern nimmt mühsam Haltung an. Er friert. Und salutiert. Die Hand am mützenlosen Kopf.
    »Weshalb steht er auch in der Nacht hier?«, frage ich.
    Klaus wiederholt nur, was er mir schon heute Mittag gesagt hatte: »Mit der Zeit wirst du alles begreifen.«

SPICKZETTEL (2)
    N. N., Berufswunsch: Arzt
    Ich werde vielleicht in Afrika leben. Meine Eltern waren früher in Angola. Dort braucht man Ärzte. In Peking würde ich auch wohnen. Aber eben nur so, wie wir Ausländer
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