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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary
Autoren: Gustave Flaubert
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der Regen, der den
Unterricht störte, oder irgendein Bekannter, der vorüberging.
Übrigens war der Lehrer durchweg mit seinem Schüler zufrieden, ja
er meinte sogar, der »junge Mann« habe ein gar treffliches
Gedächtnis.
    So konnte es nicht weitergehen. Frau Bovary ward energisch, und
ihr Mann gab widerstandslos nach, vielleicht weil er sich selber
schämte, wahrscheinlicher aber aus Ohnmacht. Man wollte nur noch
ein Jahr warten; der Junge sollte erst gefirmelt werden.
    Darüber hinaus verstrich abermals ein halbes Jahr, dann aber
wurde Karl wirklich auf das Gymnasium nach Rouen geschickt. Sein
Vater brachte ihn selber hin. Das war Ende Oktober.
    Die meisten seiner damaligen Kameraden werden sich kaum noch
deutlich an ihn erinnern. Er war ein ziemlich phlegmatischer Junge,
der in der Freizeit wie ein Kind spielte, in den Arbeitsstunden
eifrig lernte, während des Unterrichts aufmerksam dasaß, im
Schlafsaal vorschriftsmäßig schlief und bei den Mahlzeiten
ordentlich zulangte. Sein Verkehr außerhalb der Schule war ein
Eisengroßhändler in der Handschuhmachergasse, der aller vier Wochen
einmal mit ihm ausging, an Sonntagen nach
Ladenschluß. Er lief mit ihm am Hafen spazieren, zeigte ihm die
Schiffe und brachte ihn abends um sieben Uhr vor dem Abendessen
wieder in das Gymnasium. Jeden Donnerstag abend schrieb Karl mit
roter Tinte an seine Mutter einen langen Brief, den er immer mit
drei Oblaten zuklebte. Hernach vertiefte er sich wieder in seine
Geschichtshefte, oder er las in einem alten Exemplar von
Barthelemys »Reise des jungen Anacharsis«, das im Arbeitssaal
herumlag. Bei Ausflügen plauderte er mit dem Pedell, der ebenfalls
vom Lande war.
    Durch seinen Fleiß gelang es ihm, sich immer in der Mitte der
Klasse zu halten; einmal errang er sich sogar einen Preis in der
Naturkunde. Aber gegen Ende des dritten Schuljahres nahmen ihn
seine Eltern vom Gymnasium fort und ließen ihn Medizin studieren.
Sie waren der festen Zuversicht, daß er sich bis zum Staatsexamen
schon durchwürgen würde.
    Die Mutter mietete ihm ein Stübchen, vier Stock hoch, nach der
Eau-de-Robec zu gelegen, im Hause eines Färbers, eines alten
Bekannten von ihr. Sie traf Vereinbarungen über die Verpflegung
ihres Sohnes, besorgte ein paar Möbelstücke, einen Tisch und zwei
Stühle, wozu sie von zu Hause noch eine Bettstelle aus
Kirschbaumholz kommen ließ. Des weiteren kaufte sie ein
Kanonenöfchen und einen kleinen Vorrat von Holz, damit ihr armer
Junge nicht frieren sollte. Acht Tage darnach reiste sie wieder
heim, nachdem sie ihn tausend-und abertausendmal ermahnt hatte, ja
hübsch fleißig und solid zu bleiben, sintemal er nun ganz allein
auf sich selbst angewiesen sei.
    Vor dem Verzeichnis der Vorlesungen auf dem schwarzen Brette der
medizinischen Hochschule vergingen dem neubackenen Studenten Augen
und Ohren. Er las da von anatomischen und pathologischen Kursen,
von Kollegien über Physiologie, Pharmazie, Chemie, Botanik,
Therapeutik und Hygiene, von Kursen in der
Klinik, von praktischen Übungen usw. Alle diese vielen Namen, über
deren Herkunft er sich nicht einmal klar war, standen so recht vor
ihm wie geheimnisvolle Pforten in das Heiligtum der
Wissenschaft.
    Er lernte gar nichts. So aufmerksam er auch in den Vorlesungen
war, er begriff nichts. Um so mehr büffelte er. Er schrieb fleißig
nach, versäumte kein Kolleg und fehlte in keiner Übung. Er erfüllte
sein tägliches Arbeitspensum wie ein Gaul im Hippodrom, der in
einem fort den Hufschlag hintrottet, ohne zu wissen, was für ein
Geschäft er eigentlich verrichtet.
    Zu seiner pekuniären Unterstützung schickte ihm seine Mutter
allwöchentlich durch den Botenmann ein Stück Kalbsbraten. Das war
sein Frühstück, wenn er aus dem Krankenhause auf einen Husch nach
Hause kam. Sich erst hinzusetzen, dazu langte die Zeit nicht, denn
er mußte alsbald wieder in ein Kolleg oder zur Anatomie oder Klinik
eilen, durch eine Unmenge von Straßen hindurch. Abends nahm er an
der kargen Hauptmahlzeit seiner Wirtsleute teil. Hinterher ging er
hinauf in seine Stube und setzte sich an seine Lehrbücher, oft in
nassen Kleidern, die ihm dann am Leibe bei der Rotglut des kleinen
Ofens zu dampfen begannen.
    An schönen Sommerabenden, wenn die schwülen Gassen leer wurden
und die Dienstmädchen vor den Haustüren Ball spielten, öffnete er
sein Fenster und sah hinaus. Unten floß der Fluß vorüber, der aus
diesem Viertel von Rouen ein häßliches Klein-Venedig machte. Seine
gelben, violett und
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