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Madame Bovary

Madame Bovary

Titel: Madame Bovary
Autoren: Gustave Flaubert
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standen
aufrecht in Reih und Glied mehrere Säcke mit Getreide; sie hatten
auf der Kornkammer nebenan keinen Platz gefunden, zu der drei
Steinstufen hinaufführten. In der Mitte der Wand, deren grüner
Anstrich sich stellenweise abblätterte, hing in einem vergoldeten
Rahmen eine Bleistiftzeichnung: der Kopf einer Minerva. In
schnörkeliger Schrift stand darunter geschrieben. »Meinem lieben
Vater!«
    Sie sprachen zuerst von dem Unfall, dann vom Wetter, vom starken
Frost, von den Wölfen, die nachts die Umgegend unsicher machen.
Fraulein Rouault schwärmte gar nicht besonders von dem Leben auf
dem Lande, zumal jetzt nicht, wo die ganze Last der Gutswirtschaft
fast allein auf ihr ruhe. Da es im Zimmer kalt war, fröstelte sie
während der ganzen Mahlzeit. Beim Essen fielen ihre vollen Lippen etwas auf. Wenn das
Gespräch stockte, pflegte sie mit den Oberzähnen auf die Unterlippe
zu beißen.
    Ihr Hals wuchs aus einem weißen Umlegekragen heraus. Ihr
schwarzes, hinten zu einem reichen Knoten vereintes Haar war in der
Mitte gescheitelt; beide Hälften lagen so glatt auf dem Kopfe, daß
sie wie zwei Flügel aus je einem Stücke aussahen und kaum die
Ohrläppchen blicken ließen. Über den Schläfen war das Haar gewellt,
was der Landarzt noch nie in seinem Leben gesehen hatte. Ihre
Wangen waren rosig. Zwischen zwei Knöpfen ihrer Taille lugte – wie
bei einem Herrn – ein Lorgnon aus Schildpatt hervor.
    Nachdem sich Karl oben beim alten Rouault verabschiedet hatte,
trat er nochmals in das Eßzimmer. Er fand Emma am Fenster stehend,
die Stirn an die Scheiben gedrückt. Sie schaute in den Garten
hinaus, wo der Wind die Bohnenstangen umgeworfen hatte. Sich
umwendend, fragte sie:
    »Suchen Sie etwas?«
    »Meinen Reitstock, wenn Sie gestatten!«
    Er fing an zu suchen, hinter den Türen und unter den Stühlen.
Der Stock war auf den Fußboden gefallen, gerade zwischen die Säcke
und die Wand. Emma entdeckte ihn. Als sie sich über die Säcke
beugte, wollte Karl ihr galant zuvorkommen. Wie er seinen Arm in
der nämlichen Absicht wie sie ausstreckte, berührte seine Brust den
gebückten Rücken des jungen Mädchens. Sie fühlten es beide. Emma
fuhr rasch in die Höhe. Ganz rot geworden, sah sie ihn über die
Schulter weg an, indem sie ihm seinen Reitstock reichte.
    Er hatte versprochen, in drei Tagen wieder nachzusehen; statt
dessen war er bereits am nächsten Tag zur Stelle, und von da ab kam
er regelmäßig zweimal in der Woche, ungerechnet die gelegentlichen
Besuche, die er hin und wieder machte, wenn er
»zufällig in der Gegend« war. Übrigens
ging alles vorzüglich; die Heilung verlief regelrecht, und als man
nach sechs und einer halben Woche Vater Rouault ohne Stock wieder
in Haus und Hof herumstiefeln sah, hatte sich Bovary in der ganzen
Gegend den Ruf einer Kapazität erworben. Der alte Herr meinte,
besser hätten ihn die ersten Ärzte von Yvetot oder selbst von Rouen
auch nicht kurieren können.
    Karl dachte gar nicht daran, sich zu befragen, warum er so gern
nach dem Rouaultschen Gute kam. Und wenn er auch darüber
nachgesonnen hätte, so würde er den Beweggrund seines Eifers
zweifellos in die Wichtigkeit des Falles oder vielleicht in das in
Aussicht stehende hohe Honorar gelegt haben. Waren dies aber
wirklich die Gründe, die ihm seine Besuche des Pachthofes zu
köstlichen Abwechselungen in dem armseligen Einerlei seines tätigen
Lebens machten? An solchen Tagen stand er zeitig auf, ritt im
Galopp ab und ließ den Gaul die ganze Strecke lang kaum zu Atem
kommen. Kurz vor seinem Ziele aber pflegte er abzusitzen und sich
die Stiefel mit Gras zu reinigen; dann zog er sich die braunen
Reithandschuhe an, und so ritt er kreuzvergnügt in den Gutshof ein.
Es war ihm ein Wonnegefühl, mit der Schulter gegen den nachgebenden
Flügel des Hoftores anzureiten, den Hahn auf der Mauer krähen zu
hören und sich von der Dorfjugend umringt zu sehen. Er liebte die
Scheune und die Ställe; er liebte den Papa Rouault, der ihm so
treuherzig die Hand schüttelte und ihn seinen Lebensretter nannte;
er liebte die niedlichen Holzpantoffeln des Gutsfräuleins, die auf
den immer sauber gescheuerten Fliesen der Küche so allerliebst
schlürften und klapperten. In diesen Schuhen sah Emma viel größer
aus denn sonst. Wenn Karl wieder ging, gab sie ihm jedesmal das
Geleit bis zur ersten Stufe der Freitreppe. War sein Pferd noch
nicht vorgeführt, dann wartete sie mit. Sie hatten schon Abschied
voneinander genommen, und so sprachen sie
nicht
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