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Macho Man: Roman (German Edition)

Macho Man: Roman (German Edition)

Titel: Macho Man: Roman (German Edition)
Autoren: Moritz Netenjakob
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Ich kann nicht sagen, wie lange er dauert. Die Dimension der Zeit verliert ihre Bedeutung -und der Barbarossaplatz ist sehr, sehr weit weg.
    3 Liebe sensible Frauen, ich finde es auch menschlich enttäuschend von mir, dass ich mir in solchen Momenten die hässliche Freundin von Gaby Haas vorstelle. Meine einzige Entschuldigung: Es funktioniert.
    4 Lieber Tadashi Suzuki (Regisseur von Ödipus am Düsseldorfer Schauspielhaus), es tut mir leid. Wahrscheinlich fehlten mir einfach die intellektuellen Voraussetzungen, um Ihre Inszenierung zu begreifen.

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    6
    Etwa eine Stunde später liegen wir nebeneinander auf der Decke, die Aylin mitgebracht hat. 5 6 Ich kann mein Glück gar nicht fassen. Diese Traumfrau neben mir hat mich tatsächlich geküsst. Ich bin berauscht. In solchen Momenten merkt man, dass der menschliche Körper jede Menge Drogen auf Lager hat, die er in bestimmten Situationen ausschütten kann. Toll. Mein Gehirn ist Drogenproduzent und mein Körper der Dealer. Ich weiß nicht genau, welches Enzym verantwortlich ist, wenn man glaubt, einen halben Meter über dem Boden zu schweben – aber es fühlt sich verdammt gut an ...
    »Daniel, würdest du bitte gucken?«
    Ich gucke Aylin an. In einem Comic hätte mir der Zeichner jetzt Herzchen in die Pupillen gemalt. Aylin lacht.
    »Du sollst nicht mich angucken, sondern die Soldaten da.«
    Erst jetzt sehe ich im Augenwinkel, dass hinter uns ein halbes Dutzend türkische Soldaten in Uniform stehen und Aylin auf den Hintern starren. Mein Körper verabreicht mir eine andere Droge, die die Wirkung der vorherigen neutralisiert: Adrenalin.
    Mein Pulsschlag verdoppelt sich in einer halben Sekunde. Mein Körper ist bereit zur Flucht. Wenn ich jetzt schnell ins Meer laufe und nach rechts schwimme, müsste irgendwann Griechenlandkommen. Ich darf aber das Asthma-Spray nicht vergessen! Funktioniert das überhaupt im Wasser? Nein, besser, ich stelle mich einfach tot...
    Die Soldaten starren immer noch auf Aylins Hintern. Was machen überhaupt Soldaten in dieser perfekten Idylle? Ach, stimmt ja: Diese perfekte Idylle gibt es ja nur, weil die Soldaten da sind. Perfekte Idylle und Soldaten – das gehört halt in der Türkei zusammen ...
    Sehr gut, dieser Gedanke hat mich kurz von meiner Panik abgelenkt. Aber jetzt ist sie wieder da – zumal selbst Aylin langsam unruhig wird.
    »Also – würdest du bitte gucken? Wenn du sie böse anguckst, dann verschwinden sie.«
    Das scheint mir eine gewagte These.
    »Äh, Entschuldigung, aber könnte es nicht sein, dass es eher so ablaufen würde: Ich gucke böse, die Soldaten fühlen sich provoziert, schlagen mich zusammen, und wenn ich zwei Wochen später das Bewusstsein wiedererlange, bin ich in irgendeinem türkischen Gefängnis, wo ich von meinem Zellengenossen, einem sadistischen Vierfachmörder, nach weiteren fünf Jahren endlich genug Türkisch gelernt habe, um zu verstehen, dass ich eventuell einen Anwalt bekomme, wenn ich endlich gestehe, dass ich ein PKK-Terrorist bin, der Istanbul in die Luft sprengen will?«
    »Daniel, das ist mein Land. Hier kenne ich die Regeln. Und die lauten: Du guckst böse, sie verschwinden.«
    »Ich würde dir ja gerne glauben, aber...«
    »Verstehst du nicht? Wenn du böse guckst, dann sagst du damit: Das ist meine Frau. Lasst die Finger von ihr. Das respektieren sie, das ist Ehrensache.«
    Ach so. Eine Ehrensache. Davon verstehe ich natürlich nichts. Ehre ist einer von den Begriffen, die irgendwie so einen Nazi-Beigeschmack haben. Ehre, Blitzkrieg, Autobahn – ganz dünnes Eis. Muss man sich sofort distanzieren: Ich habe keine Ehre – dafür bin ich aber auch kein Nazi.
    »Daniel – bitte!«
    Tja. Wenn man verliebt ist, setzt das bekanntlich weite Teile der Ratio außer Kraft. Nur so kann ich es mir erklären, dass ichtatsächlich die Sonnenbrille abnehme, die Augenbrauen hochziehe und die Soldaten böse angucke.
    Es folgt wieder einer der Momente, in denen sich die Zeit dehnt. Die Soldaten reagieren nicht. Sie reagieren immer noch nicht. Immer noch nicht. Immer noch nicht. Immer noch nicht. Mein Leben zieht noch einmal an mir vorbei. Allerdings komme ich nur bis zu meinem achten Geburtstag – meine Eltern schenkten mir eine Ernst-Jandl-Platte, auf der Happy Birthday zu einem dadaistischen Klangexperiment verfremdet wurde –, da geschieht das Wunder:
    Die Soldaten wenden ihre Blicke von Aylin ab – und verziehen sich.
    Ich bin fassungslos. Nur mit einem Blick habe ich sechs türkische
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