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M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)

Titel: M: Ein Tabor Süden Roman (German Edition)
Autoren: Friedrich Ani
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Weißes Hemd, schwarze Jeans, Bauch, schlecht rasiert, Halskette mit blauem Stein, fast schulterlange Haare, ein Einzelgänger. Sie hatte einen Kollegen, der ähnlich aussah, allerdings redete der mehr, von morgens bis abends, am liebsten über Lokalpolitik und Klatschgeschichten. Der Mann an der Wand schien ihr unberechenbar, wie einer, mit dem man rechnen musste, wenn man mit niemandem rechnete. »Er wird schon wiederkommen«, sagte sie zu ihm und wandte sich um. Bevor sie die Tür erreichte, war Süden neben ihr. Sie erschrak, wich einen Schritt zur Seite und stieß mit dem Knie gegen den schmiedeeisernen Schirmständer.
    »Haben Sie sich weh getan?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich bin Tabor Süden und werde Ihren Freund finden.«
    Er sprach ruhig und freundlich, mit einer wohlklingenden Stimme. Und doch jagte etwas an seiner Art ihr einen solchen Schrecken ein, dass sie für einige Sekunden überzeugt war, er wüsste über sie Bescheid und würde im nächsten Moment ihr Lebenswerk zunichtemachen.

4
    V or der Polizei, sagte Mia Bischof, habe sie ihn in kein schlechtes Licht rücken wollen. »Wenn man von jemandem behauptet, er will sich womöglich was antun, schauen alle schief und machen einen gleich dafür verantwortlich. Das wollt ich vermeiden.«
    »Jetzt wollen Sie es nicht mehr vermeiden«, sagte Süden. Nachdem er die Frau dazu gebracht hatte, sich auf der Fensterseite an den Tisch zu setzen, hatte er ihr gegenüber Platz genommen, neben Patrizia.
    Kreutzer saß hoch konzentriert an Ediths Schreibtisch, Blick zur Tür, und schrieb mit einem frisch gespitzten, nur acht Zentimeter langen Bleistift Notizen auf einen linierten DIN-A4-Block, Zeile um Zeile, in einer schwungvollen, klaren Handschrift. Er vermerkte auch die Pausen und Ticks der Klientin, wenn sie zum wiederholten Mal am halb geöffneten Reißverschluss ihrer Daunenjacke nestelte oder an ihrer Mütze zupfte, die sie nicht abgenommen hatte. Ansonsten hielt sie die Hände im Schoß.
    Unter der grauen Daunenjacke trug sie einen schwarzen Rollkragenpullover und dazu einen knöchellangen schwarzen Wollrock. Zu ihren blonden Haaren und dem blassen, beinahe wächsernen Gesicht bildeten ihre dunklen Augen einen auffallenden Kontrast. Ihre Gesten wirkten nervös und gleichzeitig kontrolliert. Sie schien tatsächlich Angst um ihren Freund oder Liebhaber oder Lebensgefährten zu haben, verwandte jedoch eine enorme Anstrengung darauf, ihre Empfindungen unter Verschluss zu halten – ähnlich wie Süden, was dessen Irritation betraf.
    »Entschuldigung?«, sagte Mia Bischof.
    »Sie halten es für möglich, dass sich Ihr Lebensgefährte etwas antun will.«
    »Ich weiß nicht … mein Lebensgefährte … Ich weiß nicht, ob man das so nennen kann. Er ist mein Freund, das schon.«
    »Er ist Ihnen sehr wichtig.«
    »Ja, natürlich, sonst wär ich ja … Wir kennen uns erst seit … ich weiß nicht genau … seit einem Jahr. Ist das wichtig?«
    »Nein«, sagte Süden. »Er ist seit letztem Sonntag verschwunden.«
    Kreutzer schrieb »Sonntag, 22. Januar« auf seinen Block, hielt inne, die Bleistiftspitze zwei Zentimeter über dem Papier, wartete auf genauere Angaben. Doch Mia nickte nur, warf Patrizia einen flüchtigen, abschätzigen Blick zu und zog den Reißverschluss ihrer Jacke wieder ein Stück höher. Draußen waren es drei Grad minus, hier drin mindestens zwanzig Grad plus. Ob Mia fror, war nicht zu erkennen. Vielleicht, dachte Patrizia, brauchte sie einen Panzer um sich.
    Süden beugte sich über den Tisch, was einen unmerklichen Ruck in Mia auslöste. »Ihr Freund musste zur Arbeit, er hatte Nachtschicht als Taxifahrer.« Mia schaute ihn an, weiter nichts, die Hände im Schoß, mit reglosen Augen. »Und jetzt möchte ich gern seinen Namen erfahren.«
    »Denning, Siegfried.« Eine tonlose, seltsam unbeteiligt klingende Stimme.
    »Siegfried Denning«, wiederholte Kreutzer und notierte den Namen. »Wie alt?« Den Handballen aufgestützt, blieb er in Schreibstellung. Süden warf ihm ein unsichtbares Lächeln zu.
    »Entschuldigung?«
    »Das Alter Ihres Freundes«, sagte Kreutzer.
    »Er war … er ist … ich weiß nicht … Er ist fünfzig, Anfang fünfzig.«
    »Sie wissen es nicht genau.«
    »Doch, er ist … vierundfünfzig.«
    »Vierundfünfzig«, sagte Kreutzer und schrieb.
    Süden entging nicht, dass Patrizia die Fäuste gegen ihren Laptop drückte, um mit ihrer Ungeduld fertig zu werden. Er wusste, dass sie andere, härtere Fragen gestellt und
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