Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)

Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)

Titel: Lykandras Krieger 1 - Wolfsängerin (German Edition)
Autoren: Kerstin Dirks
Vom Netzwerk:
war, während er sie, die ja auch zu seiner Familie gehörte, als Baby weggeben hatte. Offensichtlich bedeutete sie ihm weniger als seine Vorfahren, was Joli ziemlich wütend machte. Sie versuchte ihren Ärger zu unterdrücken.
    „Ich sehe, dass Sie stolz auf Ihre Familie sind. Sie haben sogar einen Stammbaum, obwohl Sie nicht adlig sind. Aber was wollen Sie mir mit dieser kleinen Vorführung eigentlich sagen? Ich habe doch noch gar keinen Bezug zu all diesen Leuten, sie sind interessant, mit Sicherheit, aber ich ...“
    Tremonde rollte das Papier wieder zusammen und legte es vorsichtig in die Schublade zurück. „Ich möchte, dass du in meine Fußstapfen trittst und die alte Tradition fortführst“, unterbrach er sie.
    Joli rückte ihre Brille zurecht und wusste, dass sie ihn anstarrte als hätte er den Verstand verloren.
    „Einen Moment, ich habe mich sicherlich nur verhört. Ich fasse das noch mal in eigenen Worten zusammen. Sie kontaktieren mich nach zig Jahren, nicht um mich kennen zu lernen sondern Sie möchten lediglich, dass ich Ihrem Herrn diene?“
    „Du wirst ihn mögen.“
    „Das ist ein Scherz.“ Sein unbewegter Gesichtsausdruck verriet, dass es ihm ernst war. Sie schob die Brille ein zweites Mal, diesmal mit vor unterdrücktem Zorn zitterndem Zeigefinger bis zur Nasenwurzel hoch. „Mit Verlaub, wie kommen Sie auf so eine absurde Idee? Ich habe einen Job, ein gutes Leben, das ich mir aufgebaut habe.“ Und das ohne das Zutun ihres leiblichen Vaters. Herzlichen Dank auch.
    „Du kannst mein Zimmer beziehen“, fuhr er fort, als hätte er sie nicht gehört. „Sorge dich nicht, es gibt hier gar nicht so viel zu tun, wie du jetzt vielleicht denkst, und der Herr ist sehr umgänglich. Morgens um fünf erwartet der Herr seinen Tee, nicht zu sehr gezuckert, aber auch nicht zu stark. Er bevorzugt das rote Teeservice, welches einen Ehrenplatz in der Küche auf dem Regal bekommen hat, du kannst es nicht übersehen. Um acht gibt es dann Frühstück auf dem Balkon, allerdings nur im Frühjahr und Sommer. Sobald es kälter wird, zieht er den Speisesaal vor. Der Herr liebt übrigens englisches Frühstück, kein französisches. Eine lange Geschichte ...“ Er zwinkerte und plapperte munter weiter.
    Joli blendete ihn aus. Umgänglich? ‚Der Herr’ war anspruchsvoller als eine Hollywood-Diva. Sie hob abwehrend die Hände.
    „Tut mir sehr leid, aber dieser 24-Stunden-Job ist nichts für mich. Ich arbeite bereits für einen Tierarzt.“
    „Kind, urteile nicht so vorschnell.“
    „Ich möchte viel lieber über Sie reden, Ihr Leben, was Sie in all den Jahren gemacht haben. Gut, die Frage hat sich vermutlich von selbst beantwortet, Sie haben Ihrem Herrn gedient.“ Sie versuchte mit einem Lächeln die groteske Situation wieder in den Griff zu bekommen. „Verstehen Sie denn nicht, dass ich alles über meine leiblichen Eltern wissen möchte? Über meine Mutter. Wo haben Sie sie kennen gelernt? Was war sie für eine Frau? Wieso haben Sie mich nicht großgezogen, nachdem sie gestorben war? Das alles ist mir wichtiger als einen Stammbaum anzuschauen. Was nützen mir die Namen, ich möchte etwas über die Menschen wissen.“
    Tremonde winkte ab, als versuchte er eine lästige Fliege fort zu scheuchen.
    „Ich finde, ich habe ein Recht darauf, all diese Dinge zu erfahren. Sie müssen sich meinen Fragen stellen, das sind Sie mir schuldig.“
    „Lass uns erst das Wichtige bereden: Die Tradition unserer Familie!“
    Joli seufzte. Allmählich begriff sie, worum es ihrem Vater wirklich ging. Die Tradition. Das war der wahre Grund, warum er sie nach Dahlem hatte bringen lassen. Um ihr einen Job als Leibeigene eines exzentrischen Adligen aufzuschwatzen. Es ging ihm gar nicht um sie, seine Tochter. Er hatte nicht einmal etwas Persönliches gefragt, es interessierte ihn nicht, wie sie ihre Brötchen verdiente oder was sie in ihrer Freizeit machte, wie und wo sie aufgewachsen war. All das spielte keine Rolle für ihn. Enttäuscht sank sie in sich zusammen. Dieses Treffen hatte sie sich anders vorgestellt. In Gedanken zählte sie bis zehn, um sich etwas zu beruhigen und nicht unnötig einen Aufstand zu machen, obwohl dieser Mann, der sich ihr Vater nannte, eine ordentliche Standpauke verdient hätte. Unter anderen Umständen hätte sie ihm die Meinung gesagt. Da sie ihn aber kaum kannte und Tremonde zudem noch schwer krank war, hielt sie es für angebracht, ihn zu schonen.
    „Ich habe bereits einen Job“, wiederholte sie und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher