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LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht

LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht

Titel: LYING GAME - Weg bist du noch lange nicht
Autoren: Sara Shepard
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liegen und zählte die ruhigen Atemzüge ihrer Freundinnen. Aus Sekunden wurden Minuten. Sie krallte ihre Zehen in eine kratzige Wolldecke und zählte bis hundert. Dann sprang sie auf, stieg über Laurel und Charlotte und ging in den Flur zurück. Sie schlich die Treppe hinauf, der Marmor fühlte sich unter ihren nackten Füßen kalt an. Sie musste das Fenster in Suttons Zimmer schließen – das über die Eiche davor so leicht zu erreichen war. Sie selbst konnte den untersten Ast vom Boden aus zwar nicht erreichen, aber jede Person über eins achtzig konnte das.
    Am oberen Treppenabsatz spähte sie in die dunkle Türöffnung am Ende des Flurs. Sie schlich über den Teppich, krallte die Hände in Suttons dünne Schlafanzughose und versuchte, ruhig zu atmen, als sie Suttons dunkles Zimmer betrat. Sie bekam eine Gänsehaut, als eine kühle Brise ihren warmen Körper traf.
    Das Fenster stand weit offen.
    Mondlicht fiel auf Suttons hellblaue Bettwäsche und die Hochglanzzeitschriften neben dem Bett. Emma wich einen kleinen Schritt zurück und stieß gegen etwas Warmes, Unnachgiebiges. Sie versuchte zu schreien, aber die Hand, die plötzlich auf ihrem Mund lag, erstickte jeden Laut. Eine andere Hand lag auf ihrer Taille und hielt sie fest, so heftig sie sich auch zu befreien versuchte.
    »Psst.« Warmer Atem kitzelte sie am Ohr. »Ich bin’s«, knurrte eine Stimme leise.
    Die Stimme des Jungen traf mich wie ein elektrischer Schock und löste eine Lawine an zusammenhangslosen Erinnerungsfetzen aus. Wir verließen eine Party, um heimlich in der Wüste zu knutschen. Ich fand einen Brief in meinem Spind, der so aufrichtig und schön war, dass mir die Knie weich wurden. Und dann wieder einmal die Erinnerung an den Streit auf dem Schulhof: Er sagte etwas zu mir und ich schrie ihn an: »Glaubst du wirklich, ich will mit dir zusammen sein? Du bist nur ein Loser!«
    Und dann drängelte sich noch eine letzte Erinnerung an die Oberfläche, so kurz und knapp wie ein Lidschlag. Scheinwerfer auf seinem Gesicht. Vor Angst aufgerissene Augen, heftige Armbewegungen. Und dann … Bumm. Aufprall.
    Die Hände lockerten ihren Griff und drehten Emma herum. Sie erstarrte zur Salzsäule. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, wer der große Junge mit dem dunklen Haar, den haselnussbraunen Augen, den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen war. Dieses Gesicht. Sie kannte dieses Gesicht.
    Sie erkannte den geheimnisvollen Jungen auf Madelines Familienfotos. Ein grinsendes Gesicht, das überall in der Stadt von Plakatwänden und Anschlagtafeln herabschaute und sich in unzähligen HABT IHR IHN GESEHEN ?-Facebook-Einträgen wiederfand. Und jetzt stand er hier und lächelte ein seltsames, schiefes Lächeln. Die Art Lächeln, die bedeuten konnte, dass er alles über sie wusste – auch, wer sie nicht war.
    »Thayer«, flüsterte Emma.

 
    Epilog
    Die Zeit steht still
    Als ich in meinem Zimmer stand und den Jungen betrachtete, der gerade durch mein Fenster geklettert war, fror die Zeit plötzlich ein. Der Wind hörte auf zu wehen. Die Vögel verstummten. Emma und Thayer erstarrten zu Statuen. Nur ich bewegte mich, dachte nach, versuchte die Situation zu begreifen und meine Gedanken zu ordnen.
    Ich hielt mich an meinen Erinnerungen an Thayer so krampfhaft fest, als seien sie mein Rettungsring auf hoher See. Aber gerade als ich dachte, ich hätte sie sicher im Griff, entglitten sie mir und versanken wieder in der Tiefe. Stimmte es, dass Thayer und mich etwas verbunden hatte – etwas Echtes, Großes? Die Gefühle, an die ich mich gerade erinnert hatte, waren so wahrhaftig und intensiv gewesen, viel stärker als alles, was ich für Garrett oder meine anderen Freunde empfunden hatte. Aber stimmte die Erinnerung an Thayers Gesicht im Licht der Scheinwerfer etwa auch? Hatte ich Thayer angefahren? Stimmte dieses Gerücht?
    Mir kam ein noch schlimmerer Gedanke. Schaute ich gerade in diesem Moment meinem Mörder ins Gesicht?
    Nach meinen Erinnerungen sträubte sich alles in mir dagegen, Thayer als potenziellen Killer zu betrachten, aber ich hatte inzwischen ein paar Dinge über mein unzuverlässiges, totes Gehirn gelernt. Einer einzelnen Erinnerung konnte ich nicht trauen, nur dem ganzen Bild. Eine schreckliche Entführung hatte sich letztendlich nur als gefährlicher Streich herausgestellt. Eine Todesdrohung hatte sich in Gelächter aufgelöst und allen ging es gut. Möglicherweise würde meine nächste Erinnerung an Thayer alle romantischen Gefühle für
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