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Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde

Titel: Lydia Strong 01 - Im Herzen die Sünde
Autoren: Lisa Unger
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Organe säuberlich mit einem Skalpell entfernt. Der Blinde, der in der Kirche lebte, hatte einen seltsamen Geruch bemerkt. Er war in den Garten gegangen und über den Hundekadaver gestolpert. Lydia dachte an ihre Joggingstrecke. Sie hatte erst gestern im Traum vor jenem Garten gestanden. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken, und in ihrer Magengegend breitete sich eine diffuse Angst aus.
    »Nun ist es wieder so weit, ob du willst oder nicht«, sagte sie laut zu sich selbst.
    Ihre Mutter hatte Lydia immer eine Träumerin und Geschichtenerzählerin genannt, weil sie aus Langeweile eine Lügengeschichte nach der nächsten erfand. Sie hatte immer schon gern gelesen und die geliebten Bücher dem richtigen Leben vorgezogen. Nachdem sie im Alter von zehn Jahren Alice im Wunderland verschlungen hatte, hatte sie stundenlang am Bachlauf hinter dem Haus gehockt und auf ein bekleidetes Tier gewartet, das ihr den Weg in die magische Welt wies. Nach Der König von Narnia hatte Lydia den Kleiderschrank ihrer Mutter auseinandergenommen, um den geheimen Durchgang zu finden.
    Anstatt vom im Vergleich zur Kunst so öden Leben enttäuscht zu sein, schrieb Lydia in einem Tagebuch ihre spannendsten Abenteuer auf. Zwischen den grauschwarz melierten Buchdeckeln erlegte sie Drachen mit einer verzauberten Nagelfeile und stahl einem Hexenmeister seine Zauberkunst, die sie in ihrem Rucksack mit sich herumschleppte und bei Bedarf anwendete (beispielsweise, um Schwächeren zu helfen oder ihr Zimmer aufzuräumen). Sie segelte mit einer Gruppe von Waisenkindern zu einer Insel, auf der eine reiche, einsame Frau lebte. Eine böse Hexe hatte sie auf die Insel verbannt, und sie wünschte sich nichts sehnlicher als Kinder.
    Als sie älter wurde, verlor Lydia das Interesse an den Märchen, nicht aber am Erzählen. Sie merkte bald, dass sich aus der Beobachtung subtiler Nuancen, die anderen Menschen entgingen, Erkenntnisse gewinnen und Schlüsse ziehen ließen. Als ihr diese Fähigkeit zum ersten Mal bewusst wurde, war sie dreizehn Jahre alt.
    Einmal musste ihre Mutter sie früher als sonst von der Schule abholen, weil sie die Grippe hatte. Lydia bemerkte zwei Autos in der Einfahrt der Nachbarn. Das eine kannte sie, das zweite hatte sie noch nie gesehen. Sie spürte sofort, dass irgendetwas nicht stimmte.
    Sie spähte aus ihrem Kinderzimmerfenster. Die Nachbarn, ein junges, berufstätiges Paar mit Namen Taylor und Claire Brown, waren vor zwei Jahren eingezogen und tagsüber fast nie zu Hause. Claire war eine Freundin von Lydias Mutter Marion.
    »Mom, was ist da drüben wohl los?«
    »Das geht uns nichts an. Ich dachte, du bist krank. Ab ins Bett!«
    Aber sobald ihre Mutter aus dem Zimmer war, stand Lydia wieder am Fenster. Sie sah, wie eine zierliche, adrett gekleidete Frau das Nachbarhaus verließ. Die Frau schaute sich immer wieder um, sah nervös auf ihre Armbanduhr. Sie stieg ins Auto und fuhr davon. Fünf Minuten später kam Taylor aus dem Haus. Er blieb stehen, betrachtete das Auto von Lydias Mutter und warf einen irritierten Blick zum Haus hinauf.
    Rasch versteckte sich Lydia hinter dem Vorhang. Taylor stieg ins Auto und verschwand. Ganz bestimmt hatte er eine Affäre!
    Als Lydia und ihre Mutter am Sonntag zum Abendessen bei den Browns eingeladen gewesen waren, hatten sich die Gastgeber weder angelächelt noch berührt. Neulich war Claire auf einen Kaffee herübergekommen, und sie und Lydias Mutter hatten leise und aufgeregt getuschelt. Außerdem hatten Taylor und die fremde Frau nervös und schuldbewusst ausgesehen, als sie das Haus verließen. Lydia war überzeugt, dass sie richtiglag.
    »Du musst es ihr sagen«, sagte sie zu ihrer Mutter.
    »Was denn? Ein Problem zu haben bedeutet noch lange nicht, dass man seinen Partner betrügt. Die beiden wollen das Haus verkaufen. Vielleicht war die Frau eine Maklerin. Deine Tagträumerei wird dir eines Tages noch Ärger einbringen!«
    Lydia gab nicht nach.
    »Dann sag ihr wenigstens, dass eine fremde Frau in ihrem Haus war.«
    »Nein. Ich werde mich da nicht einmischen. Du solltest dich schämen, Lydia. Du bist dreizehn Jahre alt und hast keine Ahnung, wie kompliziert eine Beziehung sein kann. Du hältst dich für allwissend, dabei kannst du dir nicht ansatzweise vorstellen, wie es da draußen in der Welt zugeht. Claire und Taylor müssen allein mit ihren Problemen fertigwerden – ohne dass neugierige Nachbarn ihren Senf dazugeben.«
    Ihre Mutter brachte sie wieder ins Bett und zog die Vorhänge
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