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Lustig, lustig, tralalalala

Lustig, lustig, tralalalala

Titel: Lustig, lustig, tralalalala
Autoren: Mia Morgowski
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nicht, nachdem er die herzergreifende Version von «Last Christmas» der Küchenhilfe gehört hatte. Er hängte sich voll rein, sang «Feliz Navidad» mit vietnamesischem Akzent und grölte drei große Züge aus dem Bambusrohr später «Do they know it’s Christmas?» mit den anderen im Chor. Als er beim «Jingle Bell Rock» mit einem ausufernden Hüftschwung in die gestapelten Warmhalteplatten rasselte, beschloss er, sich kurz hinzusetzen und auszuruhen. Etwas später schalteten die Wirtsleute das blinkende Bäumchen aus, deckten ihn mit einem Kletternikolaus zu und gingen zu Bett. Karl erwachte am ersten Weihnachtsfeiertag mit dem Kopf auf der Tischplatte, und als er seinen steifen Nacken aufrichtete, klebte ihm das Seerosen-Plastikset an der Backe.
     
    «Ich finde es immer noch schade, dass davon keiner ein Foto gemacht hat», sagte ich zu Karl in meiner Küche, «und es war ganz schön schnöde von dir, ohne ein Wort des Dankes aus dem Fenster zu klettern.»
    «Haha», machte Karl müde und holte sich noch ein Bier aus dem Kühlschrank. «Wer kommt denn eigentlich zu Besuch?», fragte er mit Blick auf die Gans.
    «Meine Mutter und meine Schwester mit den Kindern», antwortete ich. «Wir können dieses Jahr nicht zusammen feiern. Meine Schwester verbringt Weihnachten mit ihrer frisch geschiedenen besten Freundin auf Hiddensee, und meine Mutter fährt mit.»
    «Dann können wir ja dieses Jahr zusammen feiern!», freute sich Karl. «Wir machen uns einen schönen ruhigen Abend, ohne Einkaufsstress und Geschenkezwang!»
    «Karl», sagte ich gelassen, «du hast nichts verstanden. Weihnachtenist nicht ruhig. Es wird Essen eingekauft wie für den Kessel in Stalingrad, es wird in der ganzen Stadt nach dem besten Baum gesucht, und selbstverständlich will ich Geschenke. Mindestens drei Stück. So viele bekomm ich sonst auch. Von Mutti, meiner Schwester und den Kids. Die zähle ich fairerweise je nur als halbe Schenker. So läuft das. Wenn du alle diese Bedingungen akzeptieren kannst, sind wir im Geschäft. Ansonsten kannst du Weihnachten alleine beim Inder verbringen.»
    Karl war einverstanden, und als der große Tag kam, saßen wir bei Würstchen und «italienischem» Salat, wie der mit Lachsersatz, Kapern, Käse, Essiggürkchen und siebenundzwanzig weiteren Geheimzutaten verfeinerte Kartoffelsalat in unserer Familie heißt, und schauten auf eine wunderschön mit selbstgemachtem Lametta aus gut abgehangenem Stanniol geschmückte Blautanne. Natürlich war das nicht aus der Folie geschnitten, mit der ich die Martinsgans abgedeckt hatte. Es stammte von Gansabdeckungen voriger Generationen, denn das Lametta wurde bei uns, seit ich denken kann, beim Baumabschmücken fein säuberlich wieder eingesammelt und umwickelt mit einer Banderole aus Butterbrotpapier bis zum nächsten Jahr im Karton mit den Weihnachtssachen auf dem Speicher verstaut. Ja, wir sind eine sparsame Familie. Man könnte auch sagen: Wir gehen schonend mit den Ressourcen um. Der Recycling-Gedanke ist in unserer Tradition tief verwurzelt. Wir verwenden so gut wie alles wieder: Senfgläser, Nylonstrümpfe, alte Zahnbürsten und diese kleinen gelben Plastikkapseln aus den Überraschungseiern.
    Aber bei Geschenken hört der Spaß auf.
    Karl schenkte mir eine CD von Norah Jones, ein lustiges Buch über Weihnachtsbräuche, und für das dritte Geschenk warenihm offenbar die Ideen ausgegangen. Ich traute meinen Augen kaum, als ich das Kuscheltier auspackte. Es handelte sich um einen Teddy, und zwar um ein ausnehmend hässliches Exemplar. Eine Schande seiner Zunft. Ich konnte nicht fassen, dass er mir den schenkte, und drehte und wendete die hellbraune Missgeburt zwischen den Händen. Das Ding war gebraucht, das hätte man schon am verwaschenen Etikett sehen können. Aber nicht nur das. Mir fiel auf, dass das eine Ohr viel brauner war als das andere. Er hatte sich also nicht mal die Mühe gemacht, den Kaffeefleck zu entfernen. Ich erinnerte mich gut an diesen Fleck. Das war an dem Morgen gewesen, wo ich in der Küche über genau diesen Teddy gestolpert war, mir das Knie an der halboffenen Spülmaschinentür gestoßen und ihn deshalb wütend quer durch die Küche geworfen hatte. Voll auf die Kaffeemaschine, die daraufhin aus dem Gleichgewicht geraten und auf den Boden gescheppert war. Tausend Scherben, und der ganze Boden stand unter Kaffee. Jetzt fiel mir alles wieder ein: Am selben Tag war Karl zu Besuch gekommen, hatte den Teddy in der Ecke liegen sehen und
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