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Lustig, lustig, tralalalala

Lustig, lustig, tralalalala

Titel: Lustig, lustig, tralalalala
Autoren: Mia Morgowski
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schlecht rasierter Mittfünfziger. Der Mann wirkt wahlweise sehr verlebt oder höllisch überarbeitet. Ich bin jetzt jedenfalls sicher, dass ich ihn noch nie in meinem Leben gesehen habe. Er kippt einen Schnaps und behauptet dann das Gegenteil. «Wir sind uns 1974 mal kurz begegnet.» Er spült mit einem großen Schluck Bier nach und reicht mir die Hand. «Claus, Santa Claus. Besser bekannt als der Weihnachtsmann.»
    Ich überlege, ob ich ihn auslachen oder einfach aufstehen soll.
    Er zieht eine Visitenkarte hervor, schiebt sie über den Tisch. «Ich brauch deine Hilfe. Kannst du morgen vorbeikommen? Dann erklär ich dir alles.»
    Ich nicke bedächtig, während ich überlege, was ich mit dem armen Irren machen soll. Ich beschließe, ihm noch ein Weilchen zuhören. Schließlich bin ich ein netter Mensch. Außerdem ist morgen ja Weihnachten.
    Santa Claus
steht in schön geschwungenen Buchstaben auf der Karte, darunter ist, kleiner und in Druckschrift, eine Adresse in einer nicht sehr vornehmen Gegend zu lesen.
    «Wohnt der Weihnachtsmann nicht am Nordpol?», frage ich leicht spöttisch. «Zumindest dachte ich das immer.»
    «Eigentlich schon. Aber wir hatten Probleme mit dem Klimawandel», erklärt Claus und kippt einen großen Schluck Bier. «Außerdem waren die Räumlichkeiten irgendwann einfach nicht mehr bezahlbar.»
    «Am Nordpol?»
    «Genau. Am Nordpol», bestätigt er und fügt leicht irritiert hinzu: «Danach hast du doch eben gefragt, oder?»
    «Sicher», entgegne ich und bemühe mich so zu tun, als wäre das hier ein ganz normales Gespräch. «Ich kenn das Problem. Die Immobilienpreise am Nordpol sind ja ziemlich in Bewegung. Hört man ja immer wieder, dass da alles teurer wird   …»
    Er sieht mich an und runzelt die Stirn. «Felix, willst du mich verarschen?», fragt er und klingt nun abrupt gefährlich.
    «Nein!», erwidere ich, leicht erschrocken über seinen plötzlichen Stimmungsumschwung.
    «Dann ist ja gut.» Er greift nach seinem Bart und seiner Mütze und erhebt sich. «Wir sehen uns also morgen früh. Ich freu mich.»
    «Unbedingt!» Ich würde ihm alles Mögliche versprechen, Hauptsache, der Irre lässt mich in Ruhe.
    Er will sich abwenden, hält aber nochmal kurz inne. «Sag mal, hast du das Buch eigentlich immer noch?»
    Ich sehe ihn ratlos an. «Welches   … Buch?»
    «Du hast mir doch damals geschrieben, dass du dir
Moby Dick
wünschst. Und ich hab es dir auf den Gabentisch gelegt. Du hast heimlich im Wohnzimmer übernachtet, weil du den Weihnachtsmann sehen wolltest. Und tatsächlich bist du für einen kurzen Moment wach geworden, als ich gerade wieder verschwinden wollte. Erinnerst du dich?»
    Er sieht mein immer noch ratloses Gesicht.
    «Na ja», sagt er milde lächelnd. «Egal. Ist ja auch sehr lange her.»
    Er nickt zum Abschied und verlässt die Kneipe.
    Ich brauche fast zwei Stunden, um im Chaos meines Kellers jene Kiste zu finden, in der sich
Moby Dick
verbirgt. Ich habe in meinem Leben zwar schon alles Mögliche versetzt, esaber nur selten übers Herz gebracht, Bücher zu verkaufen. Ich werde fündig, wische den Staub vom Einband und blättere die erste Seite auf. «Frohe Weihnachten von Santa Claus», lese ich. Weiter unten ist in einer anderen Handschrift notiert: «Heiligabend 1974».
    Seltsam. Vielleicht kann meine Mutter Licht ins Dunkel bringen.
    «Du rufst spät an, Junge. Hier im Gefängnis mögen die das nicht so gern.»
    «Mutter, du bist nicht im Gefängnis. Du wohnst in einer Seniorenresidenz.»
    Ein kurzes Schweigen.
    «Warum hast du uns Weihnachten nicht besucht?», fragt sie vorwurfsvoll.
    «Weihnachten ist erst morgen», erwidere ich.
    «Du hast dich über zwei Jahre nicht blicken lassen.»
    Ich seufze leise. «Ich war letzten Samstag da, Mutter. So wie ich jeden Samstag da bin.»
    «Dein Vater fragt auch ständig nach dir.»
    «Schon gut, Mutter», beschwichtige ich und überlege gleichzeitig, ob es Sinn hat, sie heute nach einem uralten Weihnachtsgeschenk zu fragen. Offenbar habe ich einen ihrer weniger guten Tage erwischt. Ach, was soll’s? «Erinnerst du dich noch daran, dass du mir
Moby Dick
zu Weihnachten geschenkt hast?»
    Wieder Schweigen.
    «Was soll das sein?», fragt sie dann.
    «Ein Buch. Ein ziemlich bekanntes Buch. Man könnte sagen Weltliteratur.»
    «Nein, Schatz. Ich mach mir doch nichts aus Büchern. Deshalb hab ich dir auch nie welche geschenkt. Das habe ich lieberanderen überlassen. Vielleicht hast du es von deiner Schwester geschenkt
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