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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte
Autoren: Beate Doelling
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auszustrahlen. »Es hat keinen Zweck, sich verrückt zu machen. Das hilft uns nicht weiter.«
    Sie ertrug es nicht, dass er sie so anschaute, diesen Blick kannte sie, so hatte er geguckt, als sich Mama von ihm getrennt hatte, als nichts mehr in Ordnungwar und man sich sehr wohl verrückt machen konnte.
    »Leg dich ein bisschen hin, versuch zu schlafen. Es hilft ja doch alles nichts.«
    »Ja, mach ich«, sagte sie.
    Er nickte, drehte sich um. Sie hörte, wie er die Treppe runterging, durchs Wohnzimmer über den Flur in sein Büro. Er würde sich mit Arbeit ablenken. Das konnte er, zu jeder Tages- und Nachtzeit.
    Sie verschränkte die Arme und stand einfach nur da. Ihr ging der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass Lou entführt sein könnte. Aber wer sollte so etwas tun? Und warum? Thomas war zwar ein namhafter Professor für Produktdesign und hatte einen gut bezahlten Job an der Uni; er hielt auch Vorträge in Peking, Chicago oder Dubai, aber er war doch kein Mann, dessen Sohn man entführte. Das passierte doch nur Millionären. Oder Politikern. Aber Thomas war auch nicht politisch aktiv. Er schaffte es gerade mal, zur Wahl zu gehen. Entführung kam wohl kaum infrage.
4:28
    Josi war, als würde sie Wuzeln schlagen. Sie wuchsen aus ihren Füßen heraus, bohrten sich durch den Boden und wollten gerade einen Balken umschlingen, da summte ihr Handy. Max hatte ihr eine SMS geschickt. »Sims mir sofort, wenn Lou wieder da ist, ja? Ich denke an dich! Es war so schön mit dir«, schrieb er. »Mit uns.«
    Sie konnte sich nicht ins Bett legen. Es war noch ein Liebesnest, weich und warm, mit zerknautschten Kissenund zerwühlter Decke. Sie passte jetzt nicht dahin; sie wollte nicht noch mehr kaputt machen. Sie legte sich vor das Bett auf den Boden, kauerte sich wie ein Embryo zusammen und schaute dem Himmel durchs Fenster zu, wie er langsam hell wurde. Draußen sang eine Amsel; als beginne ein ganz normaler Sommertag.

Wenn er dir noch einmal wehtut, schlag ich ihn tot!
6:37
    Sie musste tatsächlich eingeschlafen sein, denn die Geräusche und das Blaulicht rissen sie aus dem Schlaf. Zuerst wusste sie gar nicht, wo sie war, sah ihr Bett – sie lag davor, auf dem Boden. Der Rücken schmerzte, die Schulter. Alles tat weh. Kalt war ihr auch.
    Sie hörte Thomas, er redete mit jemandem, Geräusche von draußen. Die Haustür stand offen. Stimmen mischten sich – und dieses blinkende Blaulicht! Sie sprang aus dem Bett, zum Fenster. Polizeiautos überall!
    Sie ging auf die Galerie, hörte, wie Männer mit ihrem Vater sprachen, verstand nicht alles, aber was sie verstand, ließ ihr das Blut in die Beine sacken. Jemand sagte: »Ein Hundebesitzer hat die Leiche in dem Waldstück neben dem Pfad hinter Ihrem Garten gefunden.«
    Im Kopf nur noch Klingeln, Rauschen. Die Zunge hing wie Blei im Mund. Sie wollte etwas sagen, fragen, kriegte keinen Ton raus. Sie bekam auch keine Luft mehr, war wie vakuumverpackt, sah sich in Zeitlupe auf das Treppengeländer zugehen, sah noch den roten Ball, der gestern aus Lous Kleiderschrank gerollt war, sah überall rote Bälle auf sie zukommen. Dann hörte sie einen Schrei. Es war ihr Schrei. Plötzlich standen Thomas und ein Mann vor ihr. Thomas zerrte an ihrem Armund rief andauernd etwas, aber sie konnte diesen Schrei nicht abstellen. Dann flog ihr was ins Gesicht, eine Ohrfeige. Alles verstummte.
    »Es ist nicht Lou!«
    Seine Worte erreichten sie wie durch einen dicken Nebel.
    »Hörst du, es ist nicht Lou!«
    Thomas fasste sie an beiden Schultern. In ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenstock, ihre Zähne schlugen aufeinander.
    »Wir haben eine weibliche Leiche gefunden«, sagte der Mann neben ihm. Er hatte schütteres, braunes Haar und trug eine ausgeleierte grüngraue Strickjacke. Seine Stirn glänzte.
    »Mein Name ist Werner, ich bin Hauptkommissar bei der Kriminalpolizei.« Seine Augen waren zusammengekniffen.
    Hauptkommissar … Kriminalpolizei … rauschte es ihr durch die Ohren. Die Maschen dieser grüngrauen Strickjacke kamen auf sie zu und kratzten auf ihrer Haut.
    Sie ging mit Herrn Werner und Thomas die Treppe runter, durch das Wohnzimmer. In der Küche ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, unendlich erschöpft. Thomas gab ihr Wasser, sie trank. Alles funktionierte, das Glas ansetzen, einen Schluck nehmen, runterschlucken, atmen. Marina lehnte an der Wand neben dem Tisch, eingewickelt in ihrem weißen Morgenmantel, völlig zerzaust, mit roten Augen. Selbst so sah sie noch sexy aus. »Was ist mit
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