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Luegenbeichte

Luegenbeichte

Titel: Luegenbeichte
Autoren: Beate Doelling
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meinem Sohn?«
    Josi konnte die Angst aus ihrer Stimme heraushören, sogar fühlen, sie legte sich wie eine Frostschicht über ihre Arme, ihren Hals. Sie schauderte.
    Der Hauptkommissar hob abwehrend die Hände. »Ich habe schon gehört …«, setzte er an, als wollte er eine lange Rede halten, die ihm zuwider war. Thomas fiel ihm ins Wort: »Was heißt hier, gehört? Sie sollen ihn finden!«
    »Moment mal«, sagte Herr Werner. »Ich verstehe Sie ja, aber die Patrouillen haben eine Leiche gefunden, eine junge Frau, gleich neben Ihrem Grundstück.«
    »Was?«, fragte Marina. »Bei uns?«
    Josi entging nicht, dass Herr Werner ihren Morgenmantel abscannte, besonders im Brustbereich.
    »Ja, zwischen der Bushaltestelle und Ihrem Garten, auf einem kleinen Trampelpfad, der in den Wald führt, Richtung Krumme Lanke .«
    Josi stockte das Blut. Durch die Gartenpforte, über den Trampelpfad – genau dort war sie vor ein paar Stunden noch langgelaufen.
    Marina rieb sich mit den Fingern über die Schläfen. »Ich will meinen Sohn wiederhaben!«, sagte sie so leise, dass alle verstummten.
    »Eine junge Frau? Tot?«, fragte Josi in die Stille hinein. »Wieso denn tot?«
    »Wir gehen davon aus, dass sie keines natürlichen Todes gestorben ist.«
    »Ist sie … ermordet worden?«, fragte Marina.
    »Sieht ganz danach aus«, sagte Herr Werner. »Einzelheiten erfahren wir später von unserer gerichtsmedizinischen Abteilung. Die Leiche ist schon auf dem Wegdorthin.« Er schaute in die Runde. »Ihr Name ist Lilian Sander. Kannten Sie die Tote vielleicht?«
    Irgendwas störte Josi an diesem Hauptkommissar, die Art, wie er fragte, sein Tonfall, als ob es sich hier um ein heiteres Ratequiz handelte, und wie er dabei die Augen zusammenkniff und jeden abschätzend musterte.
    »Nein«, sagte Thomas sofort. Josefine spürte die elektrische Ladung in seiner Stimme. Er war angespannt. Das waren sie alle.
    »Lilian Sander …« Marina ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. »Hört sich an wie eine Schauspielerin.«
    »Sie war Studentin«, sagte Herr Werner. »Wir haben einen Studentenausweis bei ihr gefunden. Sie war gerade mal neunzehn Jahre alt.«
    Thomas raufte sich die Haare. »Hören Sie«, sagte er. »Mein Sohn ist fünf Jahre alt und seit gestern Abend verschwunden. Anscheinend geht hier ein Mörder um. Für die Tote können Sie jetzt nichts mehr tun, aber für meinen Sohn schon!«
    »Natürlich suchen wir nach Ihrem Sohn, Herr Herzberg. In ganz Berlin hält jeder Streifenwagen nach ihm Ausschau. Außerdem ist ein Hundesuchtrupp angefordert.«
    »Dann helfen Sie ihnen gefälligst suchen, anstatt hier herumzustehen und uns wegen einer Toten zu löchern.« Thomas' Stimme klang schrill. Er verlor die Nerven. Marina sank auf einen Stuhl.
    Herr Werner reagierte nicht, sondern musterte Thomas und Marina nur kritisch. Josi kannte diese neugierigenBlicke. Viele hatten Marina schon für seine Tochter gehalten. Josefine und Marina waren auch schon öfter als Schwestern angesehen worden. Josi bemerkte, wie Herr Werner in die Jackentasche seiner Strickjacke griff und einen zerknitterten Tabaksbeutel herausholte. Dabei starrte er auf den mannshohen Edelstahlkühlschrank, als hätte er so ein Teil noch nie gesehen.
    »Sagen Sie, wie viel ist dieses Haus wert, Herr Herzberg?«
    Thomas stutzte.
    »Ich frage Sie nicht aus privatem Interesse. Ich persönlich stehe nicht auf diese kühlen, modernen Kästen, wenn ich mich mal so pauschal ausdrücken darf. Ich bin selbst in einem Kasten aufgewachsen, das reicht mir.« Er gab Tabak auf ein Blättchen und drehte sich eine Zigarette, redete weiter, ohne aufzusehen. »Mir geht es eher um die Summen, für die es sich lohnen könnte, ein Kind zu entführen.«
    »Ach so? Ab wann lohnt es sich denn Ihrer Meinung nach?« Thomas war auf Anschlag, aber der Kommissar blieb ganz ruhig.
    »Kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
    »Hier in der Umgebung stehen überall Villen in ähnlicher Preisklasse, da könnte man eine Menge Kinder entführen.«
    Herr Werner leckte das Blättchen an und klebte die Zigarette zu.
    »Herr Herzberg, haben Sie Feinde?«
    »Nein«, sagte Thomas sofort.
    »Und Sie?«
    »Natürlich nicht«, sagte Marina.
    »So natürlich ist das heutzutage nicht«, sagte Herr Werner und steckte die frisch gedrehte Zigarette wieder in den Tabaksbeutel und ließ diesen in der Strickjacke verschwinden. Dann ging er – langsam, wie in Zeitlupe – aus der Küche. »Wir halten Sie auf dem Laufenden«, sagte er, ohne
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