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Luegen haben huebsche Beine

Luegen haben huebsche Beine

Titel: Luegen haben huebsche Beine
Autoren: Nell Dixon
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Es ist eine bekannte Nebenwirkung von Blitzschlägen, dass sie diese Art von neurologischer Überempfindlichkeit verursachen können. Und wie sollte ich mich da überhaupt erklären? ›Hallöchen, Herr Doktor, mir kommt es so vor, als könnte ich gar nicht mehr anständig lügen‹?«
    »Okay.« Sie biss sich auf die Unterlippe, und an der Art, wie sie die Stirn runzelte, konnte ich erkennen, dass sie sich Sorgen machte. »Ich muss darüber nachdenken.«
    Ich brachte meinen Becher zurück in die Küche. »Ich gehe ins Bett.« Ich beschloss, ihr nichts von den Träumen zu erzählen, weil sie mich sonst mit Sicherheit zum Psychiater gejagt hätte.
    Charlie blinzelte mich an, genau wie Kip es tut, wenn er mit seinen Gedanken woanders ist. »Nacht.«
    Ich schlief nicht sonderlich gut. Seit dem Unfall waren die Träume stetig schlimmer geworden. Nun ja, nicht schlimmer – das ist das verkehrte Wort. Sie wurden deutlicher, und sie dauerten von Mal zu Mal ein kleines bisschen länger, waren inhaltlich aber immer gleich. Ich liege auf dem Boden und kann einen Lichtstrahl sehen. Ich sehe Beine, die in Seidenstrümpfen stecken, Frauenbeine, die in das Licht gehen und stehen bleiben. Wer immer sie ist, sie trägt blaue Schuhe mit Stilettoabsätzen und winzigen Goldschnallen. Dann dreht sie sich um und geht weg. Das Ganze verblasst, und alles wird schwarz.
    Ich sehe ihr Gesicht nicht, nicht einmal den Saum ihres Rockes. Nur die Schuhe, die mir im Licht entgegenfunkeln. Ich hatte mich dagegen entschieden, Charlie von den Träumen zu erzählen. Nach unserer Unterhaltung am Vorabend war sie vermutlich sowieso davon überzeugt, dass ich eine Irre war. Es klang im Grunde auch zu merkwürdig, um wahr zu sein, doch hatten die Ärzte mich vor meiner Entlassung davor gewarnt, dass wegen der massiven Ladung Elektrizität, die durch mein Gehirn gejagt worden war, Probleme auftreten könnten. Da man in der Medizin Elektroschocks als Therapie gegen gewisse Erkrankungen einsetzt, klang das in gewisser Weise plausibel. Abartig war es trotzdem.
    Kip war schon auf und schlug sich eine Ladung Cornflakes in den Bauch, als ich in die Küche schwankte.
    »Du siehst mitgenommen aus.«
    »Danke.« Ich nahm eine Schüssel aus dem Schrank und lugte in das Paket mit den Cornflakes.
    »Sind keine mehr da«, tönte Kip mit vollem Mund.
    Ich stellte die Schüssel wieder in den Schrank und öffnete die Keksdose. »Ich gehe nachher einkaufen.«
    Kip kaute weiter, während ich versuchte, auf dem Boden der Dose zwischen all den Krümeln einen nicht zerbrochenen Schokoladen-Vollkornkeks zu finden.
    »Ich habe gehört, worüber du und Charlie gestern Abend geredet habt.«
    Das hatte ich mir denken können – Kip hatte das Gehör einer Fledermaus. »Kip, mach dir darüber keine Sorgen, okay? Es ist lediglich so eine Art von vorübergehender medizinischer Störung, vermutlich.«
    Charlie und ich wussten nie genau, wie Kip die Dinge verarbeitete, die er sah oder hörte. Seine Intelligenz und seine logische Denkfähigkeit führten oft dazu, dass er Gesamtzusammenhänge sehr viel leichter erfasste als wir, doch konnten ihn seine Emotionen und seine Veranlagung, alles wörtlich zu nehmen, auch schnell völlig aus dem Gleichgewicht bringen.
    »Ich weiß. Ich habe heute Morgen im Internet nachgeguckt.« Er stellte seinen leeren Teller ab und wischte sich mit dem Handrücken die Milch vom Mund.
    Kip wusste vermutlich mehr über diese ganze Blitzschlaggeschichte als ich. Er saugte Informationen in sich auf wie ein menschliches Löschblatt. Zweifellos hatte er jede Website überprüft, die er hatte finden können.
    »Es heißt, dass alle möglichen Nebenwirkungen auftreten könnten, und die können jeden einzelnen deiner Sinne beeinträchtigen.«
    Ich hörte auf, in der Keksdose zu wühlen. »Du meinst, ich könnte Dinge hören oder sehen, die gar nicht da sind?«
    Seine Augen, die Charlies von der Form her so sehr ähnelten, schienen sich in meine hineinzubrennen. »Hast du Wahrnehmungen?«
    »Ja«, murmelte ich in die Keksdose. Verdammt, da war es schon wieder passiert. Ich hatte Nein sagen wollen!
    Kip griff nach meiner Hand und zog mich aus der Küche ins Wohnzimmer. »Das ist fantastisch, Abbey.«
    Ich war froh, dass wenigstens einer fand, diese Verrücktheiten seien fantastisch.
    »Sag mir, was du siehst. Oder hörst du Dinge? Das wäre total cool, wenn du Dinge hören würdest.« Seine Augen funkelten hinter den Brillengläsern mit dem gleichen feurigen Glanz, den
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