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Lovesong

Titel: Lovesong
Autoren: authors_sort
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stattfindet, das einen gewaltigen Tsunami in ihre Richtung schicken wird. Und mir wird klar, dass ich in erster Linie an das Hier und Jetzt denken sollte, bevor ich über die Zukunft nachsinne. »Ich muss ein paar Telefonate führen«, sage ich zu Mia. »Ich muss meinen Manager anrufen, er wartet auf mich … und Bryn.«
    »Oh, klar, natürlich«, sagt sie. Sie wirkt plötzlich enttäuscht, während sie sich anschickt aufzustehen, und fast hätte sie in der Hektik das Cello umgeschmissen. »Das Telefon ist unten. Ich sollte auch mit Tokio telefonieren. Aber da ist es jetzt wohl mitten in der Nacht. Ich schreib besser eine E-Mail und ruf später an. Und meine Reiseagentur …«
    »Mia«, unterbreche ich sie.
    »Was denn?«
    »Wir werden schon eine Lösung finden.«
    »Meinst du?« Sie wirkt nicht ganz so überzeugt.
    Ich nicke, auch wenn mein eigenes Herz wie wild rast und die Puzzleteile mir im Kopf herumschwirren. Mia drückt mir das schnurlose Telefon in die Hand. Ich gehe raus in den Garten, wo ich ungestört bin. Das Licht des Nachmittags verbreitet eine unglaublich friedliche Stimmung, verstärkt durch das unaufhörliche Zirpen der Zikaden. Aldous ist schon beim ersten Klingeln dran, und sobald ich seine Stimme vernehme und ihm wortreich versichere, dass ich in Ordnung bin, nimmt auf meinen Lippen der Plan Gestalt an, so als hätte ich ihn mir lange, lange vorher überlegt. Ich erkläre Aldous, dass ich nicht nach London komme, zumindest nicht jetzt, dass ich kein Musikvideo drehe oder irgendwelche Interviews gebe, dass ich aber pünktlich zum Start unserer Europatournee in England sein und kein einziges Konzert ausfallen lassen werde. Den Rest des Plans, der gerade in diesem Moment Formen annimmt – und ein Teil davon muss schon gestern Nacht dort auf der Brücke entstanden sein, wenn auch nur schemenhaft –, behalte ich allerdings für mich, was Aldous nicht entgeht, wie ich befürchte.
    Ich kann Aldous nicht sehen, daher weiß ich nicht, ob er zwinkert oder zusammenzuckt oder überrascht guckt, aber er lässt sich nichts anmerken. »Du wirst also allen deinen Tourverpflichtungen nachkommen?«, fasst er noch einmal zusammen.
    »Jep.«
    »Und was soll ich dem Rest der Band mitteilen?«
    »Sie können das Video ohne mich drehen, wenn sie wollen. Ich treff sie dann auf dem Guildford Festival«, sage ich. Das Guildford ist eins der größeren Musikfestivals in England, auf dem wir als Headliner auftreten, gleich zu Beginn der Tour. »Ich erklär ihnen dann alles.«
    »Und wo bist du in der Zwischenzeit zu erreichen? Falls jemand was von dir braucht?«
    »Sag bitte allen, dass sie nichts von mir zu brauchen haben«, erwidere ich.
    Der nächste Anruf fällt mir schon viel schwerer. Ich wünschte, ich hätte mir nicht ausgerechnet den heutigen Tag ausgesucht, um mit dem Rauchen aufzuhören. Ich versuche es mit tiefen Atemzügen, wie die Ärzte es mir gezeigt haben, und dann wähle ich einfach die Nummer. Eine Reise von tausend Meilen beginnt mit zehn Ziffern, heißt es nicht so?
    »Dacht ich mir schon, dass du das bist«, sagt Bryn, als sie meine Stimme hört. »Hast du wieder mal dein Telefon verloren? Wo steckst du?«
    »Ich bin immer noch in New York. Genauer gesagt in Brooklyn.« Ich mache eine kurze Pause. »Mit Mia.«
    Bleierne Stille liegt in der Leitung, deshalb fülle ich diese Stille mit einem Monolog, der – was bewirken soll? Ich weiß es nicht: Vielleicht ist es der Versuch, die vergangene Nacht als Unfall abzutun, oder das Eingeständnis, dass es zwischen uns nie so richtig gut gelaufen ist, nie so, wie sie es sich immer gewünscht hat, und dass ich deshalb echt ein mieser Freund war für sie. Ich wünsche ihr noch viel Glück mit dem nächsten Kerl.
    »Klar, darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen«, sagt sie mit einem gequälten Lachen, das nicht recht überzeugend rüberkommt. Eine lange Pause entsteht. Ich warte auf eine Schimpftirade ihrerseits, auf Anschuldigungen – all die Dinge, die jetzt eigentlich kommen sollten. Doch sie sagt keinen Ton.
    »Bist du noch dran?«, frage ich.
    »Ja, ich denke nach.«
    »Worüber denn?«
    »Ich überlege gerade, ob es mir lieber wäre, wenn sie damals gestorben wäre.«
    »Himmelherrgott, Bryn!«
    »Ach, halt die Klappe! Du brauchst dich gar nicht aufzuregen. Nicht jetzt. Und die Antwort lautet übrigens Nein. Ich bin froh, dass sie überlebt hat.« Sie hält kurz inne. »Bei dir bin ich mir allerdings nicht so sicher.« Dann legt sie auf.
    Ich
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