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Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Lotte in Weimar: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Autoren: Thomas Mann , Werner Frizen
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Wort hatte hergeben müssen. Sie waren erforscht, rekonstruiert, mit sämtlichem Drum und Dran genauestens wieder hervorgebracht, blank aufgefirnißt und gleichsam zwischen Leuchter gestellt, um der Bedeutung willen, die sie wider alles Vermuten nachträglich gewonnen hatten.
    Unter dem Herzklopfen, das sie erzeugten, dieser begreiflichen Begleiterscheinung einer Reise ins Jugendland, verflossen sie in einander, wurden zu krausem Traumgefasel und gingen unter in einem Schlummer, der nach überfrühem Tagesbeginn und rumpelnder Reise die Sechzigjährige an die zwei Stunden umfangen hielt.
    Während sie schlief, ihres Zustandes tief vergessen, des fremden Gasthofzimmers, wo sie lag, dieser nüchternen Poststation auf der Reise ins Jugendland, schlug es zehn und halb 11 von der Hofkirche St. Jakob, und sie schlief noch weiter. Ihr Erwachen geschah von selbst, ehe man sie weckte, aber doch wohl unter dem geheimen Einfluß der sich nähernden äußeren Stö {40} rung und ihr zuvorkommend aus einer inneren Bereitschaft, die weniger gespannt und empfindlich gewesen wäre, wenn sich nicht das halb freudige, halb beklemmende Vorgefühl damit verbunden hätte, daß die Wachheitsforderung nicht von der Seite ihrer wartenden Schwester, sondern aus erregenderen Anspruchsbereichen komme.
    Sie saß auf, sah nach der Zeit, erschrak ein wenig über die vorgeschrittene Stunde und dachte nicht anders, als daß sie sich nun schleunigst auf den Weg zu ihren Verwandten machen müsse. Eben hatte sie mit der Wiederherstellung ihrer Toilette begonnen, als es klopfte.
    »Was gibt es?« fragte sie an der Thür, einige Gereiztheit und Klage in der Stimme. »Man kann nicht eintreten.«
    »Ich bin es nur, Frau Hofrätin«, sprach es draußen, »es ist lediglich Mager. Um Vergebung, Frau Hofrätin, wenn man dérangiert, allein es wäre hier eine Dame, Miß Cuzzle, von Nummer 19, eine englische Dame, ein Gast des Hauses.«
    »Nun, und weiter?«
    »Ich würde«, redete Mager hinter der Türe, »nicht zu inkommodieren wagen, allein Miß Cuzzle hat von der Anwesenheit der Frau Hofrätin in hiesiger Stadt und bei uns erfahren und ersucht dringend, Visite, wenn auch nur eine ganz kurze, ablegen zu dürfen.«
    »Sagen Sie der Dame«, erwiderte Charlotte am Spalt, »daß ich nicht angekleidet bin, mich auch entfernen muß, sobald ich es bin, und lebhaft bedauere.«
    In einem gewissen Widerspruch zu diesen Worten legte sie dabei einen Frisiermantel um, durchaus gewillt, die Überrumpelung abzuweisen, aber in dem Wunsch, sich nicht einmal bei der Abweisung im Zustande völliger Unbereitschaft zu fühlen.
    »Ich brauche es Miß Cuzzle nicht zu sagen«, antwortete Mager auf dem Gange. »Sie hört es selbst, denn sie steht hier neben mir. Die Sache wäre die, daß es Miß Cuzzle höchst dringlich {41} wäre, der Frau Hofrätin, sei es auch nur in Minutenkürze, aufwarten zu dürfen.«
    »Aber ich kenne die Dame nicht!« rief Charlotte mit leichter Entrüstung.
    »Das ist es gerade, Frau Hofrätin«, versetzte der Kellner. »Miß Cuzzle legt eben das allergrößte Gewicht darauf, sofort Dero Bekanntschaft, in flüchtigster Form, wenn es sein muß, zu machen. She wants to have just a look at you, if you please«, sagte er kunstvoll verstellten Mundes, gleichsam sprachlich in die bittstellende Persönlichkeit eintretend, – was denn für diese das Zeichen zu sein schien, ihre Sache dem Mittelsmann aus den Händen zu nehmen und sie selber zu führen; denn sogleich klang draußen in bewegtem Dudeltudu ihre hohe Kinderstimme auf, die nicht wieder absetzen zu wollen schien, sondern unter laut hervorgehobenen »most interesting« und »highest importance« in unerschöpflichem Flusse weiterging, sodaß die Bedrängte im Zimmer sich langsam überzeugte, am ehesten noch sei dem Einhalt zu tun, indem man sich in das zähe Verlangen der Anstehenden ergebe und sich ihr zeige. Sie hatte garnicht die Absicht, der Zudringlichen den Raub an ihrer Zeit durch sprachliches Entgegenkommen zu erleichtern. Dennoch war sie deutsch genug, ihre Kapitulation mit einem halb scherzhaften »Well, come in, please« zu erklären und mußte dann lachen über Magers »Thank you so very much«, mit dem er sich, nach seiner Art, weit mit der Tür ins Zimmer hineinbeugte, um Miß Cuzzle an sich vorbeizulassen.
    »Oh dear, oh dear!« sagte die kleine Person, die originell und erfreulich zu sehen war. »You've kept me waiting, Sie haben mich warten lassen, but that is as it should be. Es hat mich
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