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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition)
Autoren: Zadie Smith
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schwör bei Gott, ja? Danke, im Ernst. Du hast mich echt gerettet heute.
    Leah zuckt die Achseln.
    – Na komm, jetzt sei nicht so, ich schwör’s – ich komm vorbei, im Ernst.
    – Ich hoffe nur, sie wird wieder gesund. Deine Mutter.
    – Morgen, ja? Danke!
    Die Tür geht zu. Der Wagen fährt ab.

3
    Für alle liegt es auf der Hand, nur nicht für Leah. Für ihre Mutter liegt es auf der Hand.
    – Seit wann bist du bloß so naiv?
    – Sie war verzweifelt. Ehrlich.
    – Ich war auch verzweifelt, damals in der Grafton Street, und in der Buckley Road war ich verzweifelt, wir waren alle verzweifelt. Aber deswegen haben wir noch lange keinen bestohlen.
    Knisternde Wolken aus Seufzern. Leah sieht sie praktisch vor sich: der flatternde schneeweiße Pony, der wogende geblümte Busen. Ihre Mutter ist zu einer gut gefiederten irischen Eule geworden. So hockt sie hier in Willesden, immer noch, lebenslang.
    – Dreißig Pfund! Dreißig Pfund für eine Taxifahrt ins Middlesex. Das ist doch nicht Heathrow. Wenn du schon Geld zum Fenster rauswirfst, sorg mal dafür, dass es in meine Richtung fliegt.
    – Vielleicht kommt sie ja doch noch wieder.
    – Eher kommt der Heiland höchstpersönlich als die! Erst am Wochenende hatte ich wieder zwei von denen hier, seh sie schon die Straße hochkommen und überall klingeln. Crack. Sah man meilenweit. Scheußliche Angewohnheit! Jeden Tag seh ich die hier, an der Station. Jenny Fowler vorn an der Ecke hat mal einer aufgemacht – zugedröhnt bis dorthinaus, hat sie erzählt. Dreißig Pfund! Das hast du von deinem Vater. Kein Mensch mit meinem Blut in den Adern würde auf so was Idiotisches reinfallen. Was sagt überhaupt dein Michael dazu?
    Letztendlich leichter, Michael durchgehen zu lassen, als sich anzuhören, wie Mieh-schell ihren Mundraum füllt wie ein schlechter Geschmack auf der Zunge.
    – Dass es idiotisch war.
    – Und genau das war es auch. Seinesgleichen führt man nicht so leicht hinters Licht.
    Alles Nigerianer, alle; auch wenn es sich um Franzosen oder Algerier handelt, sind sie Nigerianer, weil sich für Pauline im Grunde ganz Afrika auf Nigeria beschränkt, und der Nigerianer an sich ist ein Schlitzohr, ihm gehört in Kilburn alles, was früher einmal irisch war, sogar fünf der Pflegekräfte aus Paulines Team sind Nigerianer, obwohl das früher alles Iren waren, zumindest hält Pauline sie für Nigerianer, und man kommt ja auch bestens mit ihnen aus, man darf sie nur keine Sekunde aus den Augen lassen. Leah legt den Daumennagel an ihren Ehering. Drückt fest dagegen.
    – Er will da vorbeigehen.
    – Das ist ja auch sein gutes Recht! Du hast dich schließlich vor der eigenen Haustür von einer Zigeunerin ausrauben lassen!
    Alles wird in brauchbare Begriffe übersetzt.
    – Falsch. Vorderasiatin.
    – Also Inderin.
    – Grob die Gegend. Zweite Einwanderergeneration. Angehört hat sie sich aber original englisch.
    – Aha.
    – Sie war auf meiner Schule! Stand heulend vor meiner Tür!
    Noch eine knisternde Wolke.
    – Manchmal glaube ich ja, das ist alles nur, weil du allein warst. Wenn wir mehr Kinder gehabt hätten, hättest du auch mehr darüber gelernt, wie die Menschen wirklich sind.
    Egal, wo Leah ansetzt, Pauline kommt immer wieder an diesen Punkt. Die ganze Geschichte wird durchgekaut: von Dublin nach Kilburn, eine der wenigen protestantischen Auswanderer, damals gehörten die meisten ja zum anderen Lager. Im Krankenhaus gearbeitet, klar, so wie all die jungen Frauen. Mit den O’Rourke-Brüdern hat sie geflirtet, den Maurern, aber sie wollte höher hinaus, mit ihrem kastanienbraunen Haar und den zarten Zügen, und Hebamme war sie ja auch schon. Zu lang gewartet. Schließlich ein spätes Nest mit einem ruhigen Witwer, einem Engländer, der keinen Alkohol anrührte. Die O’Rourkes inzwischen Baustoffhändler, die halbe Kilburn High Road gehörte ihnen. Da hätte sie ein bisschen Saufen schon in Kauf genommen. Zum Glück hat sie sich umschulen lassen (Röntgenassistentin). Wo wäre sie sonst heute? Die Geschichte, früher streng rationiert, ein paarmal im Jahr zum Besten gegeben, sprengt heute jedes Telefonat, auch dieses, bei dem es eigentlich gar nicht um Pauline geht. Die Zeit wird der Mutter knapp, sie hat nur noch einen kurzen Weg vor sich. Sie will die Vergangenheit zusammenpressen, klein genug, um sie mitzunehmen. Die Tochter hat die Aufgabe, zuzuhören. Darin ist sie gar nicht gut.
    – Waren wir zu alt? Warst du einsam?
    – Ich bitte dich, Mum.
    – Ich
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