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London NW: Roman (German Edition)

London NW: Roman (German Edition)

Titel: London NW: Roman (German Edition)
Autoren: Zadie Smith
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selbstverständlich sitzen oder stehen könnte, gibt es nicht. Vor ihr, auf der langen Fensterbank, die sich durch den ganzen Raum zieht, ein paar Dinge aus ihrem Leben: Fotos, Schnickschnack, ein wenig Asche ihres Vaters, Vasen, Pflanzen, Kräuter. In der Spiegelung der Scheibe zieht Shar die kleinen Füße auf die Sitzfläche, umfasst die Knöchel. Die Notsituation war weniger peinlich, viel natürlicher als das jetzt. In diesem Land macht man Fremden keinen Tee. Sie lächeln sich in der Scheibe an. Der gute Wille ist da. Es gibt nur nichts zu sagen.
    – Ich hol mal Tassen.
    Leah benennt jede ihrer Handlungen. Sie macht den Schrank auf. Er ist voller Tassen – Tassen über Tassen.
    – Schönes Haus.
    Leah dreht sich zu schnell um, macht fahrige Bewegungen mit den Händen.
    – Gehört uns nicht – wir wohnen zur Miete – nur diese Wohnung hier, drüber sind noch zwei. Der Garten ist für alle. Es sind Sozialwohnungen, also ...
    Während Leah den Tee aufgießt, sieht Shar sich um. Mit hängender Unterlippe und leichtem Nicken. Anerkennend, wie eine Immobilienmaklerin. Dann ist Leah dran. Was gibt es da zu sehen? Knittriges kariertes Flanellhemd, verschlissene Jeans-Shorts, sommersprossige Beine, nackte Füße – eine lächerliche Person womöglich, eine, die auf der faulen Haut liegt, ein Luxusweibchen. Leah verschränkt die Arme vor dem Bauch.
    – Nich schlecht für sozial. Viele Zimmer und so?
    Die Lippe hängt immer noch. Dadurch nuschelt sie ein bisschen. Irgendwas stimmt nicht mit Shars Gesicht, bemerkt Leah, dann schämt sie sich, weil sie es bemerkt, und schaut weg.
    – Drei. Das dritte ist nur eine Kammer. Das nehmen wir als ...
    Shar grübelt schon wieder über etwas ganz anderem; sie ist nicht so schnell wie Leah, aber jetzt ist sie da, jetzt sind sie beide gleichauf. Sie hält Leah den ausgestreckten Zeigefinger ins Gesicht.
    – Moment mal ... du warst auf der Brayton?
    Sie hüpft auf dem Stuhl herum. Euphorisch? Das kann ja nicht sein.
    – Ich schwör, als du eben telefoniert hast, dacht ich mir: Ich kenn die. Du warst auf der Brayton!
    Leah lehnt sich mit einer Pobacke an die Anrichte und nennt ein paar Daten. Shar interessiert sich nicht für Jahreszahlen. Sie will wissen, ob Leah sich erinnert, wie der Naturwissenschaftsflügel unter Wasser stand und wie sie Jake Fowler damals mit dem Kopf in die Schraubzwinge gesteckt haben. Als wären es Mondlandungen und verstorbene Präsidenten, bestimmen sie anhand dieser Koordinaten ihre jeweilige Schulzeit.
    – Zwei Jahre unter dir, ja? Wie heißt du noch?
    Leah kämpft mit dem klemmenden Deckel einer Keksdose.
    – Leah. Hanwell.
    – Leah. Du warst auf der Brayton. Siehst du noch wen?
    Leah zählt Namen auf, nebst Kurzbiografie. Shar trommelt rhythmisch mit den Fingern auf die Tischplatte.
    – Bist du schon lange verheiratet?
    – Viel zu lang.
    – Soll ich jemanden für dich anrufen? Deinen Mann vielleicht?
    – Nee ... nee ... der ist weg. Hab ihn zwei Jahre nicht gesehen. Hat gebrüllt. Und geprügelt. Und Probleme hatte der. Jede Menge Probleme, im Kopf und so. Hat mir den Arm zerdeppert, das Schlüsselbein, die Kniescheibe, mein ganzes scheiß Gesicht. Ich sag dir was ...
    Das Nächste wird leichthin zur Seite gesprochen, mit einem kleinen, glucksenden Lachen, und ist unfassbar.
    – Vergewaltigt hat er mich und alles ... voll der Irrsinn. Aber na ja.
    Shar rutscht vom Stuhl und geht zur Hintertür. Schaut in den Garten, auf den verdorrten gelben Rasen.
    – Das tut mir wirklich leid.
    – Kannst du doch nichts dafür! Ist halt so.
    Dieses Gefühl, sich lächerlich zu fühlen. Leah schiebt die Hände in die Hosentaschen. Der Wasserkocher klickt.
    – Im Ernst, Lieja, ich würd lügen, wenn ich sage, es war leicht. Es war echt hart. Aber. Ich hab’s geschafft. Ich leb noch. Und ich hab drei Kinder! Sieben ist das Jüngste. Ist also doch was Gutes bei rumgekommen, verstehst du?
    Leah nickt zum Wasserkocher hin.
    – Hast du Kinder?
    – Nein. Nur einen Hund, Olive. Der ist gerade bei meiner Freundin Nat. Natalie Blake? Wobei, in der Schule hieß sie noch Keisha. Jetzt heißt sie Natalie De Angelis. Aus meinem Jahrgang. So ein Riesen-Afro ...
    Leah formt einen Atompilz um ihren Kopf. Shar runzelt die Stirn.
    – Ja. Voll arrogant. So ’ne Kokosnuss. Außen braun, innen weiß. Hat sich für sonst was gehalten.
    Ein Ausdruck nackter Abscheu tritt auf Shars Gesicht. Leah redet mitten hinein.
    – Sie hat jetzt Kinder. Wohnt gleich da drüben, im
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