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Lola Bensky

Lola Bensky

Titel: Lola Bensky
Autoren: Lily Brett
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Sie war heilfroh, dass nicht sie es war.
    Vor drei Jahren hatte Lola Edek auf ihre zweite Lesereise nach Deutschland mitgenommen. In Deutschland hatte Edek ihr, kaum dass sie länger als eine halbe Stunde getrennt waren, von seinem amerikanischen Mobiltelefon aus Nachrichten geschickt. Meistens standen da Sachen wie: Wurst sehr gut . Er schickte ihr Nachrichten aus seinem Hotelzimmer, wenn sie nebenan war, und aus der Eingangshalle des Hotels, um sich zu erkundigen, ob sie zum Frühstück herunterkäme. Die Mobilfunk-Rechnung war schwindelerregend hoch gewesen.
    Dennoch war Lola über jede seiner Nachrichten froh gewe
sen. Sie hatte sich gefragt, wie es Edek in Deutschland wohl ergehen würde. Als er das letzte Mal in Deutschland gewesen war, vor mehr als fünfzig Jahren, war er ein elendes, erschöpftes menschliches Überbleibsel aus einem Vernichtungslager gewesen, das in einem Lager für Displaced Persons lebte.
    Am ersten Tag von Lolas Lesereise bekam Edek Magenschmerzen. Edek hatte nie Magenschmerzen. Er hatte eine eiserne Konstitution. Er konnte zum Frühstück Cornflakes, Räuchermakrele und Würstchen essen, ohne dass es böse Folgen hatte. Oder zwei Stücke Käsekuchen, gefolgt von einem Stück Schokoladenkuchen und einem Cappuccino. Lola fand heraus, dass es der Klang der deutschen Sprache auf der Straße war, der Edek Magenschmerzen verursachte. »Im Lager, wenn man hat gehört Deutsch, man hat versucht, sich unsichtbar zu machen«, sagte er zu Lola.
    Vor ihrer Abreise aus New York hatte Lola Edek erklärt, dass sich die Dinge in Deutschland geändert hätten. Die Menschen, die heute Deutsch sprachen, seien nicht mehr dieselben Deutschen wie früher. Während ihrer ersten Lesereise in Deutschland hatte Lola begriffen, dass sie und die Deutschen, die nach dem Krieg geboren wurden, durch dasselbe kleine Stückchen Geschichte miteinander verbunden waren. Das verband sie, die Kinder der Opfer und die Kinder der Täter. Sie hatten so vieles gemeinsam. Sie wuchsen im Schatten einer Vergangenheit auf, die allgegenwärtig war. Und unfassbar. So vieles an dieser Vergangenheit ergab keinen Sinn. Vieles war verschleiert, halb ausgesprochen, angedeutet. Verknotet und verkrampft, verstümmelt, verstreute Artikel und Satzteile und Pronomen, die jemandem unbedacht entschlüpften.
    Die Kinder der Täter wuchsen ahnungslos auf, mit einem vagen Verdacht, mit Vorstellungen, die die Lücken nicht
schließen konnten, mit einer Ahnung vom Grauen. Sie empfanden dieselbe Angst und dieselbe Schuld wie die Kinder der Opfer. Lola hatte mit vielen Deutschen gesprochen, die in ihrem Alter waren oder jünger. Sie erkannte ihre Schuldgefühle. Und ihre Scham.
    Edek hatte sich besänftigen lassen, und seine Magenschmerzen klangen ab. Er plauderte auf Deutsch mit Taxifahrern und Hotelpagen und erzählte jedem, der bei einer der Lesungen neben ihm saß, dass Lola seine Tochter sei und mit ihren Büchern sehr gut verdiene, obwohl sie von Privatdetektiven überhaupt keine Ahnung habe.
    Lola hielt Ausschau nach Mr. Someone Else. Sie sah, dass er gerade Mick Jagger vorgestellt wurde. Sie fragte sich, was er wohl von Mick Jagger hielt. Es war schwierig, Mick Jagger nicht sympathisch zu finden. Er tat nichts, was unsympathisch war. Er wirkte sehr ausgeglichen. Als würde er nie aus der Haut fahren und nie die Kontrolle verlieren. Er wirkte, als habe er jeden Aspekt seines Lebens und des Imperiums, das die Rolling Stones waren, fest im Griff. Lola hatte gehört, dass Mick Jagger in alle finanziellen Angelegenheiten der Gruppe involviert und mit jedem Detail ihrer Tourneen vertraut war, von der Beleuchtung bis zum Szenenbild und der Art und Weise, wie der Vorhang sich senkte und auf dem Boden auftraf.
    Es machte Lola überraschend viel Freude zu sehen, dass Mick Jagger so gut aussah. Er wirkte gesund und fit. Wahrscheinlich aß er, worauf er Lust hatte, vielleicht aß er aber auch immer noch wenig Fleisch, verzichtete auf Milch und stärkehaltige Nahrungsmittel wie Kartoffeln. Mick Jaggers Stoffwechsel war vermutlich so eingestellt, dass er dünn blieb, dachte Lola. Sie fragte sich, ob sie mit ihrer Annahme richtig lag, dass Juden eine Disposition zur Dickleibigkeit hatten. Es
schien nicht viele sehnige jüdische Langstreckenläufer zu geben.
    Lola wusste, dass Mick Jagger ein anstrengendes Fitnessprogramm absolvierte. Er musste in Form bleiben für die Tourneen. Die Rolling Stones füllten immer noch Stadien auf der ganzen Welt. Diese Tourneen
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