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Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)

Titel: Lockwood & Co. - Die Seufzende Wendeltreppe: Band 1 (German Edition)
Autoren: Jonathan Stroud
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und ver schnaufte in gebückter Haltung. Als ich mich wieder aufrichtete und nach Lockwood rufen wollte, sah ich das Mädchen.

Kapitel 3
    Ich erstarrte. Mein Herz hämmerte und ich konnte mich nicht mehr rühren. Das lag zum Teil am Schreck, aber nicht nur. Ein eisiges Gewicht lastete wie ein Grabstein auf meiner Brust, meine Glieder fühlten sich an wie in zähem Schlamm begraben. Eine lähmende Kälte kroch durch meine Gehirnwindungen, sodass ich nicht mehr klar denken konnte. Alle Kraft hatte mich verlassen, mir war, als könnte ich mich nie wieder bewegen. Ein Gefühl ergriff von mir Besitz, das in Verzweiflung umgeschlagen wäre, wenn ich nicht zu benommen für jede wie auch immer geartete Regung gewesen wäre. Nichts spielte mehr eine Rolle, mein eigenes Befinden am allerwenigsten. Stille, Schweigen und Reglosigkeit waren alles, was ich mir noch wünschte. Mehr hatte ich nicht verdient.
    Anders ausgedrückt: Mich hatte die Geisterstarre befallen, ein typischer Zustand, der eintritt, wenn ein TYP ZWEI Macht über einen ausüben will.
    Jeder normale Mensch wäre dem Geist wehrlos ausgeliefert gewesen. Aber ich war eine erfahrene Agentin. Ich wusste, wie ich mich zu verhalten hatte. Ich überwand mich, die eisige Luft in gleichmäßigen Zügen einzuatmen, und wehrte mich gegen die Benommenheit, die meinen Verstand vernebelte. Kurzum: Ich zwang mich dazu, am Leben zu bleiben – und meine Hände glitten unauffällig in Richtung der Waffen an meinem Gürtel.
    Das Mädchen stand in dem vollgestopften Arbeitszimmer, das ehemals ein Schlafzimmer gewesen war. Ihre Gestalt war verschwommen, aber ich konnte erkennen, dass sie barfuß auf dem zusammengerollten Teppich stand. Besser gesagt: Sie stand im Teppich, denn ihre Füße versanken bis zu den Knöcheln darin, als würde sie durch Wasser waten. Sie hatte lange blonde Haare und trug ein Sommerkleid. Das Muster mit den gelben Blumen hatte etwas Altmodisches. Das Kleid und das Mädchen selbst verströmten ein unirdisches Licht. Und ihr Gesicht …
    Ihr Gesicht war ein dunkles Dreieck.
    Es ließ sich schwer sagen, aber ich schätzte sie auf ungefähr achtzehn. Auf jeden Fall war sie älter als ich, aber nur ein paar Jahre. So stand ich eine ganze Weile da, ließ das gesichtslose Mädchen nicht aus den Augen, überlegte und ließ die Hände Zentimeter um Zentimeter zu meinem Gürtel wandern.
    Dann endlich fiel mir ein, dass ich nicht allein im Haus war.
    »Lockwood?«, rief ich. »Huhu, Lockwood!« Ich achtete darauf, dass meine Stimme nicht furchtsam, sondern ganz unbekümmert klang. Gegenüber Geistern darf man keine Angst zeigen und auch keine anderen starken Gefühle wie Wut und dergleichen. Das saugen sie sofort auf und werden nur noch aggressiver und tückischer. Lockwood gab keine Antwort. Ich räusperte mich. »Lo-ock-wo-ho-hod? Wo steckst du de-henn?« Ich schlug einen fröhlichen Singsangton an, als würde ich mit einem Baby sprechen oder einem niedlichen Haustier. Was ungefähr zum gleichen Ergebnis geführt hätte, denn Lockwood reagierte immer noch nicht.
    Ich wandte den Kopf und rief ein bisschen lauter: »He, Lockwood, komm doch bitte mal her!«
    Als er endlich antwortete, klang seine Stimme nur gedämpft bis zu mir. »Augenblick noch, Luce. Ich hab hier was ent deckt …«
    »Das ist ja schön! Ich übrigens auch …«
    Als ich mich wieder dem Mädchen zuwandte, war sie ein gutes Stück näher gekommen und stand schon beinahe draußen im Flur. Ihr Gesicht war immer noch nicht zu erkennen, aber das Flimmern des Anderlichts, das sie umgab, war noch heller geworden. Sie hielt die knochigen Arme eng am Körper und krümmte die Finger wie Krallen. Ihre nackten Beine unter dem Kleid waren schrecklich mager.
    »Was willst du?«, fragte ich und spitzte die Ohren.
    Worte streiften mein Ohr, zart wie Spinnenbeine: »Mir ist kalt.«
    Bruchstücke. Immer erfährt man nur Bruchstücke. Ihr zartes Stimmchen hörte sich an wie aus weiter Ferne, zugleich aber bedrohlich nah. Deutlich näher als Lockwoods Stimme, als er mir geantwortet hatte.
    »Ach, komm schon, Lockwood«, rief ich munter. »Es ist wirklich dringend …«
    War das zu glauben? Seine Antwort klang doch tatsächlich gereizt! »Nerv mich nicht, Lucy! Ich habe einen Todesschein entdeckt! Er ist ganz, ganz schwach, aber auch in diesem Schlafzimmer ist jemand ums Leben gekommen. Muss aber schon lange her sein, denn ich hätte den Schein beinahe übersehen. Es könnte sich um ein Verbrechen handeln. Das ist
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