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Lockende Kuesse

Lockende Kuesse

Titel: Lockende Kuesse
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sichtbar. Verschwunden war die tragische Trauergestalt. An ihrer Stelle stand eine feurige Frau, die mit Leidenschaft sprach. »Das ist absolut lächerlich«, verkündete sie triumphierend. »Wir haben uns fast jede Nacht geliebt!« Ein Aufruhr ging durch die Menge, und der Richter musste wiederholt auf den Tisch klopfen, bevor wieder einigermaßen Ruhe einkehrte. Kitty setzte sich wieder. Sie ignorierte ihren Anwalt und sagte stattdessen zum Richter: »Mein Mann hat die Pistole gesäubert, als sich der Schuss löste. Es war ein Unfall.«
    Der Richter entschied, die Verhandlung an dieser dramatischen Stelle zu unterbrechen. Patrick mied auch weiterhin ihren Blick. Sie sah ihn mit der fremden Frau am Arm auf den Gang hinausgehen.
    Julia warf ihr einen selbstzufriedenen Blick zu, bei dem Kitty ganz schwummerig wurde, doch Jeffrey tätschelte ihre Hand. »Keine Sorge, das ist die Frau des Richters.«
     
    Das Urteil lautete Tod durch Unfall und überraschte nach der höchst dramatischen Aussage vom Vormittag niemanden mehr. Kitty, seelisch und körperlich vollkommen ausgelaugt, durfte nach Hause gehen und die Geburt ihres Kindes erwarten. Die Londoner dagegen konnten am nächsten Tag in jeder Zeitung über die »Drachenlady« lesen.
    Ihre Wehen setzten gegen zehn Uhr abends ein. Katie sagte zu Mimi: »Du bleibst bei ihr, ich hole rasch die Hebamme.«
    Gegen Mitternacht ging es erst richtig los, aber so sehr sie sich auch mühten, das Kind wollte nicht auf die Welt kommen. Die Hebamme ließ jedoch keine Panik aufkommen. Diese Dinge brauchten Zeit und erledigten sich gewöhnlich von allein, sagte sie, und die Herzogin sei nun mal ein zierliches Ding und nicht zum Gebären geschaffen.
    Da schlüpfte Katie in ihren Mantel und verließ still das Haus. Die Uhr schlug gerade eins, als sie mit einer großen, dunklen Gestalt zurückkehrte.
    Wie durch einen Nebel hörte Kitty, die sich in Schmerzen wand, einen lauten Streit. Patricks tiefe Stimme begann zu fluchen, und sie rief der Hebamme zu: »Lassen Sie ihn ruhig zu mir; er bekommt ja doch immer seinen Willen.«
    Da kniete er neben ihrem Bett nieder und nahm ihre Hand. Es erleichterte ihr das Herz, zu sehen, wie besorgt er war. Vier Stunden lang wich er nicht von ihrer Seite. Als das Kind dann endlich auf der Welt war, fiel Patrick ein gewaltiger Stein vom Herzen. Ihm war fast schwindlig vor Erleichterung.
    »Wir haben eine Tochter«, flüsterte er ihr zärtlich ins Ohr. Kitty war zu erschöpft, um zu antworten. Er blickte die Hebamme an. »Wie lange wird sie sich ausruhen müssen?«
    »Gewöhnlich zwei Wochen«, antwortete sie.
    Er wandte den Blick wieder Kitty zu. »In einem Monat, in genau einem Monat komme ich wieder, und ich komme zur Vordertür herein, vor aller Augen; kein Versteckspiel mehr, keine Hintertüren für mich, Kitty!«
    Sie schloss die Augen und nickte, zum Zeichen, dass sie ihn verstanden hatte.
    Jeden Morgen bekam sie Blumen, die Patrick extra für sie auswählte. Einer Karte bedurfte es nicht; sie wusste, von wem sie kamen.
    Ein Monat war noch nicht ganz verstrichen, da kam er auch schon drahtigen Schritts in ihr privates Wohnzimmer gerauscht. Sie hatte soeben ihre Tochter gestillt und wiegte sie nun sanft in den Schlaf. Seine Energie brachte den Raum förmlich zum Knistern. »Kitty, es ist alles bereit«, sagte er lachend und schwenkte ein Telegramm in der Hand. »Vor dir steht der neue Präsident und Vorstandsvorsitzende der Hind of New York. Und wenn dir New York nicht gefällt, können wir auch in Philadelphia leben. Bis nach Amerika folgt uns der Klatsch nicht. Wir werden noch vor der Abreise heiraten. Wann kannst du bereit sein?«
    Sie beobachtete ihn, wie er lachte und redete. Wie attraktiv er doch war! Patrick war immer am beeindruckendsten, wenn er alles und jeden beherrschte, wenn er jedermann Befehle erteilte wie ein junger Gott.
    Leise sagte Kitty: »Ich werde nicht mitgehen.«
    Sein Lachen erstarb, und er blickte sie an. »Nicht mitgehen?«
    Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und suchte nach den richtigen Worten, um ihm ihre Lage verständlich zu machen. »Eine Seereise über den Atlantik würde ich im Moment nicht überleben«, sagte sie traurig.
    Er blickte die kleine, schwarz gekleidete Gestalt genauer an. Ihre Wangenknochen standen derart hervor, dass es beinahe aussah, als würde die Haut darüber platzen. Ihre Handgelenke waren dünn, wie bei einem Skelett. Da wusste er, dass sie die Wahrheit sagte. Zum ersten Mal im Leben fehlten ihm
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