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Loch

Loch

Titel: Loch
Autoren: R Laymon
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Mondlicht stand. Norman blinzelte. Betrachtete ihn genauer.
    Nein. Das waren keine Flügel. Sharpe hatte die Hände auf die Hüften gestützt. Das Mondlicht trug seinen Teil dazu bei, die Illusion zu erwecken, an seinen Seiten ragten Engelsflügel hervor.
    »Norman, du hast Pamela wehgetan. Kein echter Mann würde sich einer Frau aufdrängen.«
    »Ich hab ihr nicht wehgetan«, widersprach Norman. Er blickte auf zu Sharpes von Schatten verhülltem Gesicht. Durch den Bürstenschnitt wirkte die Silhouette seines Kopfes beinahe rechteckig. Das weiße kurzärmlige Hemd schien unter dem Mond sein eigenes Licht auszustrahlen.
    Sharpe regte sich nicht.
    Er war ganz ruhig.
    Und Norman spürte, dass Sharpe sein Urteil über ihn gefällt hatte.
    Normans Herz schlug wild in der Brust. »Du wirst mich töten, oder?«
    »Schlimmer«, sagte Sharpe.
    »Schlimmer? Was kann schlimmer sein, als mich zu töten?«
    »Ich setze dich in meinen Bus, dann bringe ich dich heim zu deiner Familie. Und dann werde ich dastehen und zusehen, wie du deinen Eltern all die bösen Dinge, die du getan hast, gestehst.«
    »Nein, das kann du nicht machen … Nein! « Normans Stimme wurde zu einem hohen Kreischen, als er sich die Situation vorstellte.
    Wie er zitternd im Wohnzimmer stand. Vor seiner Mutter und seinem Vater eingestand, zwei Polizisten getötet zu haben. Terry ermordet zu haben.
    Wie er später versucht hatte, Pamela die Kleider vom Leib zu reißen.
    O Gott. Auf keinen Fall.
    Die Schuld überspülte ihn in dunklen, übelkeiterregenden Wellen. Reue stieg in seiner Kehle auf, bitter wie Galle.
    Er musste fliehen. Er konnte nicht zulassen, dass Sharpe ihn zurück nach Hause brachte, um sich dieser Schande zu stellen.
    Norman wandte sich um und rannte los.
    Blindlings. Über die Kante der Felswand.
    Er fiel.
    Ein langer, langer Sturz.
    Die kühle Nachtluft rauschte an ihm vorbei. Im Mondlicht sah er den Boden auf sich zuschießen.
    Es wird nichts passieren, sagte er sich. Sharpe wird mich retten. Sharpe hat Flügel …
    Dann fiel ihm ein, dass die Flügel nur eine Täuschung des Mondlichts waren. Eine Illusion.
    Im Gegensatz zu den nur wenige Sekunden entfernten, harten Steinen.
    Norman wollte schreien.
    Doch ihm blieb keine Zeit mehr.

55
    VORSPEISEN
    Die Einwohner von Pits genossen die Party.
    Ihr persönliches Thanksgiving dafür, dass die Gefahr vorüber war.
    Alle machten mit. Alle sieben. Sharpe, Priest (in seinem Rollstuhl), Lauren, Nicki, Wes, Hank und Pamela.
    Sie entzündeten unter dem sommerlichen Sternenhimmel ein großes Feuer, über dessen Flammen sie als Vorspeise kleine Blutwürste rösteten. Dann briet Lauren Steaks auf dem Grill. In Kübeln mit Eis lagen ungefähr hundert Flaschen Bier und alle möglichen Limonadensorten.
    »Hast du Appetit auf ein Steak, Wes?«, fragte Lauren.
    »Ich könnte ein ganzes Pferd verschlingen«, antwortete er.
    »Pferdefleisch gehört zu den Dingen, die nicht auf der Speisekarte stehen.«
    Wes saß neben Pamela an einem langen Holztisch. Ihnen gegenüber saßen Nicki und Sharpe, neben dem ein Platz für Lauren frei war. Priest saß an einem Ende des Tischs, und sein Glatzkopf leuchtete im Mondlicht wie eine silberne Kuppel.
    Am anderen Ende – am Kopf des Tischs –, auf seinem rechtmäßigen Platz als Bürgermeister, hatte sich Hank niedergelassen, der mit seinem besten Stetson fast wie ein Gentleman aussah. Alle waren gut gelaunt. Alle amüsierten sich.
    Vor einer Woche hatte der Wahnsinn geendet.
    Natürlich ist das eine andere Art von Wahnsinn, dachte Pamela. Aber es ist ein friedlicher, geordneter Wahnsinn. Ein fröhlicher Wahnsinn.
    Nachdem Pamela und Sharpe von der Felswand, die Norman das Leben gekostet hatte, herabgestiegen waren, hatten sie den Berg umrundet und waren zu Boots gegangen, die immer noch mit der Waffe in der Hand den Eingang des Schachts bewachte. Sharpe hatte sie abgelenkt, während Pamela ihr ein Stück Bauholz über den Schädel gezogen hatte.
    Als Boots aufgewacht war, war sie fast erleichtert gewesen, dass Pamela überlebt hatte. Sie hatte voller Optimismus in eine Zukunft ohne Duke und Norman geblickt.
    »Ich habe immer gedacht, dass die beiden Ärger bedeuten«, hatte sie ihnen anvertraut.
    »Wie ist das Steak?«, fragte Pamela mit einem Augenzwinkern. »Zäh wie alte Boots? «
    »Hey, das hab ich gehört«, beschwerte sich Lauren, während sie sich neben Sharpe setzte.
    »War nur ein Scherz.«
    »Wisst ihr«, sagte Wes, »es schmeckt wirklich wie Schweinefleisch.«
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