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Lipstick

Lipstick

Titel: Lipstick
Autoren: Susanne Fuelscher
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nicht. Meine Zunge lag pelzig und riesengroß im Mund, ein Stück Fleisch, das nach anderem Fleisch japste, und es war ihm fast egal, was für eine Sorte es abkriegen würde. Hans’ Hand fühlte sich wie Blei auf meiner Schulter an. Wir gingen stumm ein paar Meter, sein Polo stand in einer Seitenstraße. Während er mir die Beifahrertür aufschloß und ich mich auf den Sitz quetschte, zerteilte ein Blitz den Himmel. Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig – Donner. Ich schaute Hans von der Seite an. Sonderbar sah er aus. Wie eine Zeichentrickfigur aus meiner Kindheit, deren Name mir entfallen war. Rundes Gesicht, spitze Nase, Strichmännchenmund. »Lolek und Bolek« oder so.
    Wir fuhren los. Hans drehte am Radioknopf, fand schließlich einen Sender, der irgend etwas von Tschaikowsky spielte.
    Innerhalb der nächsten Sekunden war das Gewitter über uns, und der einsetzende Platzregen verwandelte die City in eine riesengroße Waschanlage.
    »Wir sollten irgendwo ranfahren«, sagte ich, obwohl man nicht mal mehr sah, wo irgendwo war. Hans ging langsam vom Gaspedal und lenkte den Wagen zentimeterweise nach rechts, polterte über einen Kantstein, bremste. Er lehnte sich zurück, atmete tief durch.
    Es ist das Drama meines Lebens, daß ich nicht einschlafen kann. Nicht mal nach so einer Nacht.
    Camembert und Paul und dann Hans. Ich war nicht verliebt, kein bißchen, sonst hätte ich nicht so ein gräßliches Hungerloch im Magen verspürt. Ein Krater, der sich immer mehr auftat, je länger ich darüber nachdachte, weshalb ich Menschen küßte, die ich nicht küssen wollte.
    Sicher, der Appetit kommt beim Essen … Hans hielt mein Gesicht in seinen Händen und konnte doch gar nicht wissen, wie schnell mich das zu Fall bringt.
    »Der Regen läßt nach«, sagte er, als würde das irgendeine Wendungin unsere Angelegenheit bringen, und er preßte sich an mich und stöhnte leise. Eine Welle der Erregung rollte im selben Moment durch meinen Körper, ich befreite mich trotzdem aus seinen Armen und schob die Arbeit vor.
    »Was? Jetzt?«
    »Ja – genau. Jetzt«
    »Ach Gott.«
    Mehr fiel ihm nicht dazu ein. In der Ferne ein einsames Grollen, Hans küßte mich noch einmal, diesmal wilder.
    »Komm …« Sein Mund war warm und feucht an meinem Ohr, halb ließ ich mich ziehen, halb kletterte ich auf seinen Schoß, suchte nach diesen verfluchten Dingern, die ich gerade im Klo erstanden hatte. Er öffnete seine Hose, wir machten es im Auto, während der Regen ganz aufhörte, und ich vermutete, daß uns die Passanten, falls es sie denn zu dieser Stunde gab, sehen konnten.
    Hatte er mich nach Hause gefahren? Vermutlich ja. Also wußte er, wo ich wohnte, und ich wußte, daß ich die Nacht mit der Kapuze lieber aus meinem Leben streichen wollte. Es war kurz nach halb fünf, und mein Schädel dröhnte. Eine leichte Übelkeit sickerte durch alle Kanäle meines Körpers. Ekel vor dem Tag, der die Spuren der vergangenen Stunden in mein Gesicht schreiben würde.
    Etwa gegen sieben schlief ich ein, ein anstrengendes Dahindämmern mit tausend wirren Gedanken, trotzdem stand ich um Punkt neun auf und hoffte, daß sich mein Magen nicht um sich selbst drehen würde.
    Unglückseligerweise war dieser Morgen nicht einfach nur ein gewöhnlicher Morgen, sondern auch der Beginn des Tages, an dem das Essen bei Greta stattfinden sollte. In meinem Kopf hämmerte es. Ich riß die Gardinen auf und verfluchte den Sommerhimmel, der schon wieder nicht vorhatte, sich in eine seiner grauen Hüllen zurückzuziehen.
    In der Küche saß Tom. Ich rannte aufs Klo und mußte kotzen. Es dauerte ziemlich lange, und während ich noch abwartete, ob auch wirklich alles rausgekommen war, hämmerte Tom an die Badezimmertürund fragte sinnvollerweise, ob auch alles in Ordnung sei.
    »Nur ein paar Spritzer auf der Brille«, keuchte ich und tauchte kurz darauf groß und kreideweiß und mit runden Knien auf dem Flur auf. Das konnte ja nichts werden mit uns.
    Tom nahm mich in den Arm und verkündete stolz, er habe schon Tee gekocht.
    »Wo kommst du eigentlich her?« fragte ich.
    »Von draußen«, antwortete Tom frech.
    »Und was hast du hier zu suchen?«
    »Ich meine mich zu erinnern, daß ich genausoviel Miete zahle wie du.«
    »Ist Rita unpäßlich?« Ich schenkte mir Tee ein und wunderte mich, daß ich schon wieder keifen konnte.
    Tom zuckte die Achseln. »Ich wohne hier.«
    »Davon habe ich aber nicht viel gemerkt.«
    »Was willst du eigentlich?« Er stand auf, durchmaß
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