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Lippels Traum (German Edition)

Lippels Traum (German Edition)

Titel: Lippels Traum (German Edition)
Autoren: Paul Maar
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verspreche ganz fest, in einer halben Stunde das Licht auszumachen.« Die Lampe brannte noch. Nach einer halben Stunde würde er also kurz mal aufstehn, das Licht ausmachen, sich hinlegen und weiterlesen bis zum Abend.
    »Das ist schön von dir!« , schrieb seine Mutter weiter. »Schlaf gut! Tausendundeinen Kuss von deiner Mutter.«
    Lippel legte den Zettel hinten in das Buch, steckte sich noch ein Stück Schokolade in den Mund und begann im Buch zu blättern.
    Es gab viele Geschichten darin. Und alle wurden von einer Frau namens Sherezad erzählt. Seltsamerweise schien sie immer nur nachts zu erzählen. Es hieß oft: »Da bemerkte Sherezad, dass der Morgen nahte, und hielt in ihrer Erzählung inne.«
    Und wenn dann die nächste Nacht kam, die fünfhundertzwanzigste, fünfhundertsiebzigste oder sechshundertste, fing sie an weiterzuerzählen.
    Die Geschichten hatten recht viel versprechende Titel:
    »Die Geschichte von der Schlangenkönigin« oder »Die Geschichte von Sindbad, dem Seefahrer« oder »Die Geschichte von der Tücke der Weiber oder von dem König und seinem Sohn«.
    Lippel entschied sich für die Geschichte von der Schlangenkönigin, steckte noch ein Stück Schokolade in den Mund, lehnte sich wohlig ins Kissen und fing an zu lesen.
    Das heißt: Er wollte anfangen zu lesen! Aber seine Tür wurde geöffnet und Frau Jakob schaute herein.
    »Das ist die Höhe!«, sagte sie ärgerlich. »Jetzt weiß ich, warum du keinen Hunger hast. Tomatensoße schmeckt dir nicht, der Salat ist zu süß, die Nudeln zu salzig. Aber die Schokolade, die schmeckt dir! Da braucht man natürlich kein Mittagessen. Und ich kann stundenlang in der Küche stehen und kochen.«
    Lippel setzte sich auf und legte sein Buch beiseite. Ihm war unbehaglich zumute, er fühlte sich ertappt. Eigentlich war die Schokolade ja für heute Abend bestimmt gewesen. Wie sollte er alles erklären?
    »Und warum hast du am Tag das Licht an?«, fragte Frau Jakob und knipste die Lampe aus. »Es ist doch ganz hell. Wozu diese Stromverschwendung?«
    »Ich hätte das Licht schon ausgemacht. Ganz bestimmt!«, entschuldigte sich Lippel. »In einer halben Stunde. Ich hab‘s ja versprochen.«
    »Versprochen?«, fragte Frau Jakob. »Wem denn?«
    »Meiner Mutter.«
    »Was hast du ihr versprochen?«
    »Na ja, das mit dem Licht. Dass ich in einer halben Stunde das Licht ausknipse«, versuchte ihr Lippel zu erläutern.
    »Du willst dich also über mich lustig machen!« Frau Jakob war empört. »Mein lieber Junge, ich bin mit viel gutem Willen hierhergekommen. Obwohl mich deine Eltern nicht gerade fürstlich bezahlen. Aber ich lasse mir von einem verwöhnten Kind nicht auf der Nase herumtanzen.
    Du gibst mir sofort das Buch und setzt dich an deinen Tisch hier! Schließlich musste ich deinen Eltern versprechen, dass ich auf deine Hausaufgaben achte. Das war ein echtes Versprechen, verstehst du, kein erfundenes.«
    »Ich hab meines nicht erfunden«, versicherte Lippel. »Ich habe doch gemeint …«
    »Red nicht, gib mir das Buch und steh auf!«, unterbrach ihn Frau Jakob.
    »Darf ich – darf ich das Buch behalten?« Lippel redete ganz schnell. »Ich lese auch nicht mehr. Ich lege es unter mein Kopfkissen, dann ist es weg, ja?«
    Hastig schob er das Buch unter die Decke.
    »Meinetwegen«, sagte Frau Jakob gnädig. »Was hast du denn auf?«
    »Mathe und Deutsch.«
    »Na, dann fang mal gleich an!«
    Lippel schwang sich aus dem Bett, setzte sich an seinen Schreibtisch, nahm die Büchertasche vom Boden auf und suchte nach dem Matheheft.
    Frau Jakob blieb neben ihm stehen, während er unwillig das Heft aufschlug, den Füller aus dem Mäppchen holte und anfing zu rechnen.
    »Ich schau mir die Ergebnisse später an«, sagte sie nach einer Weile und ging aus dem Zimmer.

    Lippel rechnete lustlos zwei Aufgaben. Dann schlich er zur Tür und lauschte. Von Frau Jakob war nichts zu hören. Er öffnete vorsichtig die Tür.
    Frau Jakob telefonierte unten im Wohnzimmer.
    Lippel holte sein Buch unter dem Kissen hervor und setzte sich damit an den Schreibtisch.
    Wenn er es recht überlegte und wenn er an Frau Jakob dachte, schien ihm die Geschichte von der Tücke der Weiber passender zu sein als die von der Schlangenkönigin. Er wusste zwar nicht genau, was Tücke war, aber es war bestimmt nichts Gutes! Er fand die Geschichte im Buch (sie wurde in der fünfhundertachtundsiebzigsten Nacht erzählt) und fing an zu lesen:
    »Einst lebte in alten Zeiten und längst verschollenen Vergangenheiten
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