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Linksträger: Roman (German Edition)

Linksträger: Roman (German Edition)

Titel: Linksträger: Roman (German Edition)
Autoren: Tim Boltz
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sitzen in der hintersten Reihe und halten Händchen.
    »Auf was tippst du?«, frage ich Jana.
    »Was meinst du? Auf was soll ich tippen?«
    »Na, die Traurede des Standesbeamten. Ich tippe auf irgendeinen Klassiker. Entweder der Vergleich mit einem Marathonlauf oder die gute alte Story ›Die Ehe ist wie ein Fluss.‹«
    »Ah, das meinst du. Okay, ich wette dagegen. Ich tippe auf die ›Reise mit dem Koffer‹, den man packen muss. Das habe ich schon x-mal gehört. Oder diese Schmetterlingsnummer, du weißt schon, mit dem gleichen Flügelschlag und so …«
    »Oh, du bist gut. Du durchtriebenes Luder.«
    »Ich weiß.« Sie zwinkert mir zu. »Also, um was wetten wir?«
    Ich krame in meiner Tasche. Lediglich ein vertrocknetes orangefarbenes Bonbon kommt zum Vorschein.
    »Um das Bonbon.«
    Der Wetteinsatz stößt auf wenig Begeisterung, doch Jana stimmt schließlich zu.
    »Meinetwegen. Die Wette gilt. Aber ich verwalte den Gewinn bis dahin. Ich vertrau dir nicht.«
    Jana nimmt das Bonbon und steckt es ein. In diesem Moment betreten Nora und Falco hinter dem Standesbeamten den Raum, und aus den Lautsprechern ertönt die Melodie des Dirty-Dancing-Songs »I’ve Had the Time of My Life«.
    Brummelbärchens Betonfrisur sitzt heute besonders gut und glänzt sogar leicht, als wäre er frisch aus der Spielzeugverpackung geschlüpft. Dazu trägt er den Kokosanzug von Ken Blümel sowie Weste und Zylinder. Dank seiner Schlacksigkeit sieht er mit dem Zylinder allerdings wie ein tapeziertes Skelett aus.
    Auch Nora kann man zumindest attestieren, es versucht zu haben. Doch wenn man nichts zum Kopieren von Jana hat, kommt halt solch ein modernes Kunstwerk aus lachsfarbener Seide heraus. Das unfreiwillig komisch wirkende Brautpaar nimmt Platz, und der Standesbeamte, ein nicht unattraktiver Mann Anfang dreißig mit dem milden Lächeln eines jungen Goudas breitet die Arme zum Gruß aus. Das hätte ich bei meiner Messe in St. Blasius nicht besser hinbekommen.
    »Mein Name ist Holger Krummbichel, ich bin Ihr Standesbeamter. Sehr verehrtes Brautpaar, sehr verehrte Trauzeugen, verehrte Eltern und Großeltern …«
    Der Standesbeamte begeht den gut gemeinten, jedoch falsch zu verstehenden Fauxpas, indem er dabei Opa Karlo anschaut, der sofort seine bewundernden Blicke vom Parkettboden löst und sich angesprochen fühlt. Wie ein Skispringer am Schanzentisch schießt er aus seinem Sitz und richtet sich Helm und Krawatte.
    »Liebe Genössinnen un Genössen, verährdes Braudbaar…«
    »Vadi, erst nochhär uff dä Feier«, ermahnt ihn Tante Peggy und drückt den alten Herrn wieder zurück auf seinen Stuhl, »das hab isch dir doch erglärd. Daheeme, nach em Essen. Nisch jetze.«
    »Daheeme?«
    »Nu. Un jetze lass den Herrn Standesbeamdn mal wieder seene Pflischt machen dun.«
    Herr Krummbichel faltet die Hände und zwingt sich erneut zu einem Lächeln. Wieder an das Brautpaar gewandt fährt Häuptling Schmelzkäse schließlich fort: »Wir alle haben uns heute hier zusammengefunden, um die Eheschließung von Herrn Falco Schwanz und Frau Nora Gurke zu bezeugen. Herr Schwanz, Frau Gurke, einen Menschen lieben heißt einwilligen und auch dem anderen mal das Ruder überlassen.«
    Ruder? Das hört sich doch sehr nach meinem Tipp »Die Ehe ist wie ein Fluss« an und weniger nach Janas »Reise mit dem Koffer«. Und von einem Schmetterling ist auch keine Rede.
    »Es bedeutet, dem anderen zu vertrauen. Ja, man könnte die Ehe mit einer abenteuerlichen Fahrt auf einem Fluss vergleichen.«
    Bingo!
    Ich halte Jana meine leere Hand hin, ohne sie dabei anzusehen, und ein Bonbon wandert kommentarlos zurück.
    »Man teilt das Glück bei sonnigem Wetter, man teilt aber auch das Leid und den Schmerz bei rauem Wind. Man respektiert sich und den Partner und darf trotz schwerer See nie sein Ziel aus den Augen verlieren.« Die Gesellschaft nickt andächtig. »Trotz tückischer Stromschnellen, die ab und an auftreten und diese Reise bedrohen.«
    »Hat er eben Reise gesagt?«, fragt mich Jana leise.
    Ich schüttele den Kopf. »Ja, aber er meint keine Reise mit einem Koffer. Hier geht’s eindeutig um den Fluss des Lebens. Vielleicht eine Flussreise.«
    Genüsslich befreie ich das Bonbon vom knisternden Papier und stecke es mir in den Mund.
    »Neben den hohen Wellen hält dieses Abenteuer einen weiteren Kampf für Sie bereit. Man muss in der Ehe einen unaufhörlichen Kampf gegen ein Meeresungeheuer führen, das alles zu verschlingen droht: die Gewohnheit. Ich wünsche mir
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