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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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Bloß im Schlaf abstechen. Siebenunddreißig habt ihr im Bergwerk auch nicht wenige Artikel Achtundfünfziger mit dem Stock totgeschlagen. Habt ihr die Alten und alle möglichen Iwan Iwanowitschs vergessen?«
    Doch nicht nur auf die »chirurgischen« Ganoven mußte man ein Auge haben. Viel schmerzlicher war es, Versuche zu entlarven, in die Tuberkuloseabteilung zu kommen, wozu der Kranke in einem Stoffetzen Bazillen»rotz« mitbrachte – sichtlich hatte man den Tuberkulosekranken auf die ärztliche Untersuchung vorbereitet. Der Arzt sagte: »Spuck ins Schälchen«, es wurde eine Eilanalyse auf das Vorkommen des Kochbazillus gemacht. Vor der ärztlichen Untersuchung nahm der Kranke den bazillenverseuchten »Rotz« in den Mund und steckte sich natürlich mit Tuberkulose an. Dafür kam er ins Krankenhaus und entging dem Schlimmsten – der Arbeit im Goldbergwerk. Wenn auch nur für eine Stunde, nur für einen Tag, nur für einen Monat.
    Schmerzlicher war es, jene zu entlarven, die in einem Fläschchen Blut mitbrachten oder sich den Finger ritzten und Blutstropfen in den eigenen Urin gaben, um mit Hämaturie ins Krankenhaus zu kommen, um auch nur bis morgen, auch nur eine Woche liegenzubleiben. Und dann – wie Gott will.
    Diese Leute waren nicht wenige. Sie waren raffinierter. Den Tuberkulose»rotz« hätten sie für die Hospitalisierung nicht in den Mund genommen. Diese Leute hatten auch davon gehört, was Eiweiß ist und wozu man eine Urinanalyse macht. Welchen Nutzen der Kranke davon hat. Die Monate, die sie in Krankenhausbetten verbrachten, hatten sie vieles gelehrt. Es gab Kranke mit Kontrakturen, vorgetäuschten – unter Narkose, im Rausch bog man ihnen die Knie- und Ellbogengelenke gerade. Zweimal vielleicht war die Kontraktur, die Verwachsung echt gewesen, und der entlarvende Arzt, ein Athlet, zerriß beim Geradebiegen des Knies das lebendige Gewebe. Er hatte des Guten zuviel getan, die eigene Kraft falsch eingeschätzt.
    Die meisten kamen mit »Selbstverletzungen«, trophischen Geschwüren – mittels einer kräftig mit Petroleum eingeschmierten Nadel wurde eine subkutane Entzündung herbeigeführt. Diese Kranken kann man aufnehmen oder auch nicht. Vitale Indikationen gibt es hier keine.
    Besonders viele »Selbstverletzer« waren Frauen aus der Sowchose »Eigen«, und später, als das neue Frauen-Goldbergwerk Debna – mit Schubkarre, Schaufel und Hacke für die Frauen – eröffnet wurde, stieg die Zahl der Selbstverletzerinnen aus diesem Bergwerk heftig an. Das war auch das Bergwerk, wo eine Ärztin von Sanitäterinnen mit der Axt erschlagen wurde, die wunderbare weißhaarige Ärztin Schizel von der Krim. Früher hatte Schizel im Krankenhaus gearbeitet, doch ihre Personaldaten hatten sie ins Goldbergwerk und in den Tod geführt.
    Klawdija Iwanowna geht und schaut sich die Aufführung der Kulturbrigade des Lagers zu Ende an, und der Feldscher legt sich schlafen. Doch nach einer Stunde wird er geweckt: »Eine Etappe. Eine Frauenetappe aus Elgen.«
    In dieser Etappe wird es so einiges geben. Das ist Sache der Aufseher. Die Etappe ist klein, und Klawdija Iwanowna erbietet sich, die gesamte Etappe allein zu empfangen. Der Feldscher bedankt sich, schläft ein und wird sofort wieder aufgeweckt von einem Stoß und von Tränen, den bitteren Tränen Klawdija Iwanownas. Was ist denn dort geschehen?
    »Ich kann hier nicht mehr leben. Ich kann nicht mehr. Ich schmeiße den Dienst hin.«
    Der Feldscher wirft sich eine Handvoll kaltes Wasser aus dem Hahn ins Gesicht, trocknet sich mit dem Ärmel ab und geht in die Aufnahme.
    Alle lachen laut! Die Kranken, die angereiste Wache, die Aufseher. Für sich allein wälzt sich auf der Liege eine schöne, eine sehr schöne junge Frau von einer Seite auf die andere. Die junge Frau ist nicht zum ersten Mal im Krankenhaus.
    »Guten Tag, Walja Gromowa.«
    »Na, jetzt bekomme ich wenigstens einen Menschen zu sehen.«
    »Was ist hier für ein Lärm?«
    »Sie nehmen mich nicht ins Krankenhaus auf.«
    »Und warum nimmt man sie denn nicht auf? Es geht schlecht mit ihrer Tuberkulose.«
    »Das ist doch ein Kerl«, mischt sich grob der Arbeitsanweiser ein. »Es hat eine Anordnung gegeben zu ihr. Aufnahme verboten. Sie hat doch ohne mich geschlafen. Oder ohne ihren Mann ...«
    »Die lügen alle«, schreit Walja Gromowa frech. »Sehen Sie, was ich für Finger habe. Was für Nägel ...«
    Der Feldscher spuckt auf den Boden und geht ins andere Zimmer. Klawdija Iwanowna hat einen hysterischen
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