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Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)

Titel: Linkes Ufer: Erzählungen aus Kolyma 2 (German Edition)
Autoren: Warlam Schalamow
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den hohen Keller des Krankenhauses. Das Fundament war dort sehr hoch. Wir nahmen die Balken auseinander. Ganz hinten lagen – und rührten sich nicht – die beiden nackten Aussätzigen. Fedorenkos verstümmelte dunkle Hände hielten Leschtschinskajas weißen glänzenden Körper umfaßt. Beide waren betrunken.
    Man deckte sie mit Decken zu und trug sie in eine Zelle, ohne sie wieder zu trennen.
    Aber wer hat sie mit der Decke bedeckt, wer hat diese schrecklichen Körper berührt? Ein besonderer Sanitäter, den man im Krankenhaus für das Versorgungspersonal gefunden hatte und dem man (nach einer Erklärung der obersten Leitung) sieben Tage Anrechnung für einen Arbeitstag gab. Mehr also als beim Wolfram, beim Zinn, beim Uran. Sieben Tage für einen. Der Artikel hatte diesmal keine Bedeutung. Ein Frontkämpfer war gefunden, der für Vaterlandsverrat saß, der fünfundzwanzig plus fünf hatte und naiv annahm, mit seinem Heroismus könne er die Haftdauer verkürzen, den Tag der Rückkehr in die Freiheit näherbringen.
    Der Häftling Korolkow, ein Leutnant aus dem Krieg, wachte rund um die Uhr vor der Zelle. Er schlief auch vor der Zellentür. Und als der Begleitposten von der Insel kam, wurde der Häftling Korolkow zur Versorgung der Aussätzigen mitgenommen. Danach habe ich weder von Korolkow noch von Fedorenko oder Leschtschinskaja jemals wieder etwas gehört.
    1963

In der Aufnahme
    »Eine Etappe aus dem Bergwerk Solotistyj!«
    »Was für ein Bergwerk?«
    »Ein
suka
-Bergwerk.«
    »Bestell Soldaten zur Durchsuchung.«
    »Die Soldaten lassen es durchgehen. Kadertruppen.«
    »Lassen sie nicht. Ich werde in der Tür stehen.«
    »Gut, dann vielleicht so.«
    Die Etappe, schmutzig und staubig, stieg aus. Das war eine »bedeutsame« Etappe – zu viele Breitschultrige, zu viele Verbände, der Anteil der Chirurgiepatienten allzu groß für eine Etappe aus dem Bergwerk.
    Die diensthabende Ärztin trat ein, Klawdija Iwanowna, eine Freie.
    »Fangen wir an?«
    »Warten wir, bis die Soldaten für die Durchsuchung da sind.«
    »Ein neues Verfahren?«
    »Ja. Ein neues Verfahren. Sie werden gleich sehen, was los ist, Klawdija Iwanowna.«
    »Tritt in die Mitte – hier, mit den Krücken. Die Papiere!«
    Der Arbeitsanweiser reichte die Papiere herüber – eine Einweisung ins Krankenhaus. Die Lagerakten behielt der Arbeitsanweiser bei sich, legte sie beiseite.
    »Nimm den Verband ab. Gib die Binden, Grischa. Unsere Binden. Klawdija Iwanowna, bitte schauen Sie sich den Bruch an.«
    Die weiße Schlangenlinie der Binde glitt zu Boden. Mit dem Fuß schleuderte der Feldscher die Binde zur Seite. An der Transportschiene befestigt war nicht ein Messer, sondern ein Spieß, ein großer Stift – die portabelste Waffe des »
suka
«-Kriegs. Beim Aufprall auf den Boden klirrte der Spieß, und Klawdija Iwanowna wurde blaß.
    Die Soldaten schnappten sich den Spieß.
    »Nehmen Sie alle Verbände ab.«
    »Und der Gips?«
    »Schneiden Sie alle Gipse auf. Morgen werden neue angelegt.«
    Der Feldscher lauschte, ohne hinzuschauen, auf die gewohnten Klänge der Eisen, die auf den Steinboden schlagen. Unter jedem Gipsverband war eine Waffe. Hineingeschoben und eingegipst.
    »Verstehen Sie, was das bedeutet, Klawdija Iwanowna?«
    »Ich verstehe.«
    »Ich auch. Einen Rapport an die Leitung werden wir nicht schreiben, aber mündlich sagen wir es dem Chef der Sanitätsabteilung des Bergwerks, nicht wahr, Klawdija Iwanowna?«
    »Zwanzig Messer – melden Sie das dem Arzt, Aufseher, auf fünfzehn Mann von der Etappe.«
    »Das nennen Sie Messer? Das sind eher Spieße.«
    »Und jetzt, Klawdija Iwanowna, alle Gesunden – zurück. Und gehen Sie und schauen den Film zu Ende. Verstehen Sie, Klawdija Iwanowna, in diesem Bergwerk hat einmal ein Stümper von Arzt eine Diagnose geschrieben, als ein Kranker aus einem Fahrzeug gefallen war und sich verletzt hatte, ›prolapsus aus Auto‹ – wie ›prolapsus recti‹, Dickdarmvorfall. Aber Waffen einzugipsen hat er gelernt.«
    Ein böses Auge ohne Hoffnung sah den Feldscher an.
    »So, wer krank ist, wird ins Krankenhaus aufgenommen«, sagte Klawdija Iwanowna. »Treten Sie einzeln vor.«
    Die Chirurgiepatienten, die den Rücktransport erwarteten, fluchten unflätig und ungeniert. Die verlorenen Hoffnungen lösten ihnen die Zunge. Die Ganoven beschimpften die diensthabende Ärztin, den Feldscher, die Wache, die Sanitäter.
    »Dir stechen wir noch die Augen aus«, tönte ein Patient.
    »Was kannst du mir tun, Dreckstück.
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