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Linda Lael Miller

Linda Lael Miller

Titel: Linda Lael Miller
Autoren: Der Preis des Verlangens
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den Schritt, obwohl sie am liebsten auf ihn zugelaufen wäre, um ihn
in die Arme zu nehmen und ihm zu sagen, wie sehr sie ihn liebte. Aber sie hatte
Angst. Denn sie wußte nicht, ob sie es ertragen würde, wenn er sie zurückwies.
    Er begann
langsam auf sie zuzugehen, und das ermutigte Annabel zu einem vorsichtigen
Schritt, gefolgt von einem zweiten und dann einem dritten.
    Sie trafen
sich auf halbem Weg zwischen der Koppel und dem Haus.
    »Annabel«,
sagte Nicholas mit einem zurückhaltenden Nicken. Seine blauen Augen, die
Gabriels so ähnlich waren, verrieten kein anderes Gefühl als aufmerksame
Höflichkeit.
    »Nicholas«,
meinte Annabel, und es klang wie ein heiseres Flüstern. »O Nicholas.« Wenn
sie vorher unfähig gewesen war, sich zu bewegen, konnte sie jetzt einfach nicht
mehr an sich halten. Lächelnd trat sie vor und legte die Arme um ihren Sohn.
Ihr Kind.
    Obwohl
Nicholas die Umarmung nicht erwiderte, wies er sie auch nicht zurück. Er stand
einfach da, ließ sich halten und gab nicht das geringste Gefühl zu erkennen –
weder Aufregung noch Zorn noch Liebe.
    Sie trat
zurück, die Augen feucht von Freudentränen, und legte beide Hände an seine
glattrasierten Wangen. Obwohl Bärte, Koteletten und Schnurrbärte sehr modern
waren, trugen weder Nicholas noch Gabriel sie, und Annabel war froh darüber.
    »Du siehst
wunderbar aus«, sagte sie.
    »Du auch«,
erwiderte Nicholas mit einem schwachen Lächeln, das nichts verriet.
    »Ich habe
dich mehr vermißt, als du dir vorstellen kannst.« Und das stimmte; Annabel
hatte Tag und Nacht um die verlorenen Jahre mit ihm getrauert, um Nicholas, den
Mann, und Nicholas, den eigensinnigen kleinen Jungen, den sie vor so langer
Zeit flehentlich gebeten hatte, bei ihr in Boston zu bleiben.
    Nicholas
erwiderte nichts, nahm nur sanft ihre Hände von seinem Gesicht und hielt sie
leicht in seinen.
    »Du bist
deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten.«
    Nicholas
grinste und hielt noch immer ihre Hände. Das war ein kleiner Hoffnungsschimmer.
»Das sagen alle. Ich hatte allerdings gehofft, ich würde nicht so stur wie er,
aber das war wohl eine leere Hoffnung.«
    Annabel
lachte. »Ja, das glaube ich auch«, antwortete sie und stellte sich auf die
Zehenspitzen, um ihn auf die Wange zu küssen. Er roch nach Seife, Jugend und
der sauberen Luft Nevadas. »Daß es eine leere Hoffnung war, meinte ich.«
    Endlich gab
Nicholas ihre Hände frei, bot ihr gleichzeitig jedoch den Arm. »Komm herein,
Annabel, und erzähl mir, warum du hergekommen bist. Pa wollte es mir nicht
sagen.«
    Es
schmerzte sie, daß er sie Annabel nannte und Gabriel > Pa < , aber sie
dachte, daß es eigentlich verständlich war. Gabriel hatte Nicholas aufgezogen,
während sie weit fort gewesen war, zuerst in Boston, dann in England, und
Phantome gejagt hatte. Oder war sie vielmehr vor Gespenstern davongelaufen?
Nicht zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, daß sie einen viel zu hohen Preis für
ihren Stolz und diese kostbaren, beharrlichen Träume gezahlt hatte.
    Annabel
nahm Nicholas' Arm und stellte fest, daß ihr Sohn kräftiger war, als sie
erwartet hatte. Der Westen Amerikas war trotz seiner zahllosen Gefahren ein guter
Ort, um aufzuwachsen, und brachte starke junge Männer und Frauen hervor, die
wußten, was sie wollten, und wenig oder gar nichts fürchteten.
    Als sie auf
das Haus zugingen, begann sie die Aufgabe zu fürchten, die nun vor ihr lag,
obwohl es Nicholas bestimmt nicht überraschen würde, daß sie sich von seinem
Vater scheiden lassen wollte. Jeder einigermaßen vernünftige Mensch würde sich
gefragt haben, warum sie diese Farce nicht schon vor langer Zeit beendet
hatten.
    Gabriel kam
gerade aus dem Haus, als sie hineingehen wollten. Er trug den 45er Colt, der
Annabel immer so verhaßt gewesen war, tief auf der Hüfte, wie es typisch war
für Männer, die diese tödliche Waffe zu benutzen wußten.
    »Ich sehe,
daß ihr zwei euch schon getroffen habt«, bemerkte Gabriel trocken, »deshalb
werde ich mir eine offizielle Vorstellung ersparen.«
    Sein
Sarkasmus kränkte Annabel, aber sie bemühte sich, es vor ihm zu verbergen.
Bevor sie etwas erwidern konnte, sprach Nicholas, und obwohl kein Groll in
seiner Stimme mitklang, funkelten seine blauen Augen.
    »Annabel
und ich werden uns jetzt eine Weile unterhalten. Danach fahren wir in die
Stadt. Du brauchst uns nicht zu suchen, bis der Ball vorüber ist. Vielleicht
werden wir heute nacht sogar Tante Jessies Gastfreundschaft in
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