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Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck

Titel: Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Autoren: Heinrich Steinfest
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von der Leere des Lebens. Der ganze Sinn des Daseins besteht doch darin, Ablenkungen zu schaffen. Illusionen zu kreieren, die uns vom Faktum der Leere fernhalten. Wie man sich von Fallen und Abgründen fernhalten sollte. Ohne die Ablenkungen stünden wir vor öden Weiten totaler Trostlosigkeit.
    Auf das Niveau kommt es dabei an. Und das war im Falle Leons ausgesprochen hoch. Die Ablenkung, die sich aus drei unterschiedlichen Frauen, einem extravaganten Fleischberg und einem angstvollen Vater ergab. Dazu kam, daß Lillis Adoptivtochter Sarah ihren Hund mitgebracht hatte, einen ausgewachsenen Labrador, dessen ungestüme Art Leon in Verzücken versetzte. Die heftige Schwanzwedelei. Das Gesabber. Die Bettelei. Das Babygetue.
    In diesen Tagen wurde viel gekocht und im Vergleich dazu sehr viel weniger gegessen. Wahrscheinlich wollte man einfach in der Küche beisammenstehen. Außerdem wird man vom Kochen ja auch satt. Und alle drei Frauen, wie sie da standen, achteten auf ihre Figur. Man könnte sogar sagen, daß, wenn diese Frauen nicht so dünn gewesen wären, Kallimachos nicht mehr in diese Küche gepaßt hätte. So hatte alles seine Ordnung. Jeder war exakt so dünn oder dick, wie er sein mußte. Es war eine perfekte Küchenwelt.
    Leon gähnte. Der Anblick seines weit gedehnten Mäulchens besaß auf Lilli die Wirkung eines Schlafmittels. Eines Schlafmittels, das Lilli freilich gar nicht nötig hatte. Sie war auch so müde genug. Eine schwere Sonne sank gegen den Horizont, eine Sonne in der Art des Kallimachos. Dieses fette, dampfende, triefende Gestirn stützte sich auf die Welt auf wie Kallimachos auf sein Wägelchen. Das Land und das Meer knarrten unter dem Gewicht des Feuerballs.
    Lilli nahm ihrer Tochter den kleinen Leon aus dem Arm und erklärte: »Zeit für den Süßen, ein wenig zu schlafen.«
    Inula entgegnete, daß es eigentlich noch zu früh wäre. Doch Lilli ließ sich nicht beirren. Sie war die Meisterin des Schlafes. Sie wußte besser als jeder andere, wann der richtige Moment gekommen war, ein Kind schlafen zu legen. Und damit auch sich selbst.
    Sie holte das Milchfläschchen aus dem Aufwärmer und zog sich mit Leon in das Gästezimmer zurück, immerhin der Raum, in dem ein Fledermausmann sein Ende gefunden hatte. Aber niemand dachte mehr daran. Die Wände waren frisch gestrichen. Die Sache wie ausgelöscht. Kein Kummer, kein Trauma, nur ein kleiner Friede.
    Lilli setzte sich auf das Bett, lehnte ihren Rücken gegen das schräggestellte Kissen, bettete Leon in einer Mulde ihres Unterleibs und schob ihm den Sauger zwischen die Lippen. Sie arbeitete wie an einer Drehbank. Doch Drehbänke schließen nicht aus, daß jemand mit Gefühl an eine Sache herangeht. Die Drehbank schließt bloß aus, daß man im Gefühl ersäuft.
    Lilli erkannte endlich den eigentlichen Sinn. Erkannte ihre Funktion. Ihre Funktion im Spiel. Welche nur vordergründig darin bestanden hatte, Stransky zu retten oder eben nicht zu retten, sondern vielmehr in dem Faktum, Stavros Stirling kennengelernt zu haben, und damit auch seine Frau und sein Kind. Lilli Steinbeck war in diese Geschichte geraten, um dem kleinen Leon zu helfen. Wie man in einen Sturm gerät, um eine Insel zu entdecken, auf die man ohne diesen Sturm nie gelangt wäre. Diese Jagd um die halbe Welt, die Explosionen, die Angst, die Toten, gepfefferte Fischmäuler, gepfefferte Pistolen, Götter, Geheimdienste und ein Fotostudio – dieser Wahnsinn gehörte dazu, war unvermeidbar. Aber tief drinnen befand sich ein Kern, eine kernartige Insel, ein humanes Zentrum, eine Lilli-Leon-Singularität. Lilli war in diesen Sturm geraten, um letztendlich ein Kind zu »stillen« und ihm in seinen Schlaf zu helfen. Das war es: ein Kern von Glück.
    Aber: Kein Glück ohne Ende.
    Es gibt drei dramaturgische Arten, wie ein Unglück beginnt: Jemand verliebt sich, jemand steigt in ein Taxi, ein Telefon läutet.
    In diesem Fall läutete ein Telefon.
    Sarah hatte den kleinen Leon im Arm. Der Labrador schlief. Inula und Lilli kochten Spaghetti. Stavros war im Dienst und Kallimachos bei sich zu Hause.
    »Es … es ist für dich«, sagte Inula zögernd und reichte Lilli ebenso zögerlich den Hörer.
    Beide Frauen hätten diesen Hörer jetzt gerne in die Wüste geschickt. Aber ein großes Geheimnis des Telefons besteht sicher darin, daß es immer wieder, auch gegen jede Vernunft, abgehoben wird. Schwarze Magie des Alltags. Daß keiner von uns fähig ist, ein Telefon einfach läuten zu lassen. Wie man
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