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Lilith Parker

Lilith Parker

Titel: Lilith Parker
Autoren: Janine Wilk
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Menge.
    Lilith spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Das Todesmal hatte sich schon auf Vincent herabgesenkt und hüllte ihnein. Sie musste ihn einholen! Jeden Moment würde dem Kleinen etwas Schreckliches zustoßen.
    Â»Vincent, komm sofort zurück!«, rief sie ihm hinterher, doch ihre Stimme wurde vom Straßenlärm verschluckt.
    Verzweifelt wühlte sie sich durch den Strom der Passanten, doch sie kam kaum vorwärts. Immer wieder wurde sie angerempelt oder rücksichtslos beiseitegestoßen.
    Â»Vincent? Wo bist du denn?«
    Lilith sah sich suchend um, doch sie konnte ihn nirgendwo entdecken. Dafür bemerkte sie einen älteren Mann, der ihr entgegenkam und sie mit stechendem Blick fixierte. Auch über seinem Kopf schwebte das Todesmal! Wieder löste der Anblick bei Lilith einen körperlichen Schmerz aus. Keuchend blieb sie stehen, fasste sich an ihren Bauch und musste dem Drang widerstehen, in die Knie zu gehen. Blinzelnd sah sie auf. Der Mann kam direkt auf sie zu, während sein Gesicht vor ihren Augen zu zerfallen schien. Voller Entsetzten wollte sie zurückweichen, doch er hatte schon ihren Arm gepackt.
    Â»Du musst mir helfen!«, stöhnte er. »Ich will nicht sterben.«
    Der süßliche Geruch von Verwesung stieg Lilith in die Nase und ließ sie würgen.
    Â»Ich … ich kann nichts dagegen tun«, stammelte sie.
    Keine Macht der Welt hätte ihn noch aus den Klauen des Todes befreien können.
    Lilith versuchte, sich von ihm loszumachen, doch seine knochigen Finger gruben sich nur noch tiefer in ihren Arm. Aber sie durfte keine Zeit mehr verlieren, sie musste Vincent folgen – ihn konnte sie womöglich noch retten!
    Hilfe suchend blickte sie sich um, doch was sie sah, ließ ihrdas Blut in den Adern gefrieren. Plötzlich schwebte über allen Passanten das Todesmal! Sie blickte auf ein Meer aus schwarzen Strudeln, die über den Köpfen der Menschen schwebten. Der Schmerz traf sie dieses Mal wie ein Peitschenhieb, sie stöhnte auf und bunte Sterne tanzten vor ihren Augen. Taumelnd stolperte sie zurück und wäre wahrscheinlich zu Boden gegangen, wenn der todgeweihte Mann ihren Arm nicht eisern umklammert gehalten hätte. Alle Blicke waren auf sie gerichtet.
    Â»Hilf uns!«, verlangten die Menschen in vielstimmigem Chor. »Wir wollen nicht sterben. Hilf uns, Lilith!«
    Â»Ich kann nicht«, schrie sie. Heiße Tränen liefen über ihre Wangen. »Ich kann euch nicht alle retten.«
    Die Menge kreiste sie ein, Hunderte von Händen streckten sich nach ihr aus.
    Â»Hilf uns, Lilith!«
    Â»Bitte lasst mich in Ruhe!«, flehte sie.
    Sie kamen näher, immer näher. Lilith glaubte, keine Luft mehr zu bekommen, so eng schloss sich der Kreis um sie. Schützend legte sie ihren Arm um den Kopf und presste die Augen zusammen, trotzdem spürte sie die eiskalten Hände, die an ihr zogen und zerrten. Sie hatte das Gefühl, jeden Moment in Stücke gerissen zu werden.
    Â»Lilith. Lilith. Lilith.«
    Mit einem Schrei schlug sie die Augen auf und blickte in die dunklen Augenhöhlen eines Skelettschädels.
    Â»Lilith? Ist alles in Ordnung?«, fragte Sir Elliot besorgt.
    Es dauerte einen quälend langen Moment, ehe sie begriff, dass alles nur ein Traum gewesen war. Erst nach undnach wichen die Schreckensbilder aus ihren Gedanken und machten der Wirklichkeit Platz. Dafür wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie während des Runenunterrichts eingeschlafen war – schon wieder! Dabei hatte Mildred ihr nach der letzten Unterrichtsstunde eine gewaltige Standpauke gehalten und Lilith musste ihr versprechen, sich in Zukunft mehr Mühe zu geben. Sie richtete sich hastig auf und strich sich die langen Haare glatt.
    Â»Es geht schon wieder«, murmelte sie. »Tut mir leid.«
    Sie warf einen Blick aus Sir Elliots Fenster, unter dem sich die mächtige Friedhofsmauer erhob. Es dämmerte bereits und der Schnee vom Nachmittag war einem grauen Nieselregen gewichen. Zwischen den Bäumen des Friedhofs breiteten sich tiefe Schatten aus, die seltsam lebendig wirkten, und das schwindende Tageslicht ließ die Grabskulpturen, Kreuze und efeubewachsenen Grüfte noch unheimlicher erscheinen. Ein böiger Wind wehte feine Tropfen gegen die Scheibe, wo sie wie hauchzarte Tränen herunterliefen. Lilith hoffte, dass der Regen nicht stärker werden würde und sie, wie beim letzten
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