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Lilith Parker

Lilith Parker

Titel: Lilith Parker
Autoren: Janine Wilk
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zwei Wächter befanden, und diskutierten aufgeregt miteinander. Einer der Wächter schien noch recht jung zu sein, jedenfalls ließen seine Körperhaltung und seine dürre, hochgewachseneGestalt, die den stählernen Brustharnisch kaum ausfüllen konnte, darauf schließen. Der andere dagegen war von beeindruckender Statur. Er stand hoch aufgerichtet zwischen den Händlern, eine Hand lag locker am Knauf seines Schwertes. Beim Anblick der beiden schlug Rafaels Herz plötzlich so laut, dass er glaubte, die Wächter müssten es selbst über den Platz hinweg hören können.
    Â»â€¦ ein unheimlicher Schrei. Mitten in der Nacht!«, konnte Rafael die Stimme eines weißhaarigen Händlers vernehmen. »Meine Frau hat solch einen Schreck bekommen, dass sie fast nicht mehr zu beruhigen war. Immer wieder meinte die Alte, sie hätte den Teufel schreien hören!«
    Einige Männer stießen ein höhnisches Lachen aus, doch es klang sonderbar angespannt und nervös.
    Der ältere der beiden Wächter hob in einer besänftigenden Geste die Hände. »Wahrscheinlich haben unsere Leute nur einen Dieb gefasst oder einen Betrunkenen aufgegriffen«, meinte er. »Wenn heute Nacht irgendetwas Besorgniserregendes geschehen wäre, dann hätte man uns sicherlich informiert.«
    Doch sein Gegenüber, ein kahlköpfiger Händler in einem abgewetzten dunkelbraunen Wams, schüttelte den Kopf. »Ich habe das Schreien auch gehört«, widersprach er mit heller Stimme. »Es war tatsächlich unheimlich. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich daran denke.«
    Eine dicke Frau, die bisher schweigend zugehört hatte, meldete sich zu Wort. Ihr Gesicht war so bleich, dass es im Zwielicht wie ein kleiner Mond leuchtete. »Ich wohne direkt um die Ecke und habe alles mit angehört.« Sofort hattesie die ungeteilte Aufmerksamkeit der Männer. Selbst die beiden Wächter musterten sie neugierig.
    Â»Der Mann hat nicht einfach nur geschrien – er … er hat Venedig verflucht!« Ihre Stimme zitterte vor Aufregung. »La Serenissima solle dahinsiechen, zugrunde gehen, von Pest und Unglück heimgesucht werden – so lange, bis sie nur noch ein Schatten ihrer einstigen Pracht ist.«
    Rafael lief ein kalter Schauer über den Rücken. Wer konnte Venedig nur so sehr hassen, dass er einen derartigen Fluch ausstieß? Jeder, der diese Stadt betrat, wurde von ihrem Zauber gefangen genommen und selbst die wenigen, die Venedig nicht von Herzen liebten, nahmen doch ihre Einzigartigkeit wahr und respektierten sie. Für einen Venezianer war es unvorstellbar, solch eine abscheuliche Prophezeiung auszusprechen!
    Â»Der Mann war wie von Sinnen und gleichzeitig stieß er seine Worte mit solcher Inbrunst aus, dass ich vor meinen Augen schon unsere geliebte Stadt untergehen sah«, fuhr die Frau nach einer unbehaglichen Pause fort. »Denn das waren seine letzten Worte: Venedigs Ende sei gekommen, wenn ihre Kinder sie verlassen wie die Ratten das sinkende Schiff. Dann solle die Stadt vom Meer verschluckt werden.«
    Einige der Händler zogen scharf die Luft ein, während die anderen betroffen schwiegen. War nicht genau dies die größte Angst eines jeden, der hier lebte? Jedes Haus, dessen Fundament in die Kanäle absackte, jedes Hochwasser, das die Stadt heimsuchte und die Gassen überflutete, erinnerte seine Bewohner schmerzlich daran, wie vergänglich Venedig war. Wie Krieger hatten die Menschen ein fremdes Elementerobert, indem sie diese Stadt im Meer erbauten. Wäre es nicht möglich, dass sich das Meer eines Tages zurückholte, was ihm gehörte? Aber keiner von ihnen hätte jemals gewagt, diesen Gedanken laut auszusprechen.
    Â»Was für einen Unsinn Betrunkene herumschreien!« Der Wächter lächelte durch seinen Bart hindurch beruhigend in die Menge und wandte sich an die Frau. »Sie haben es selbst gesagt: Er war wie von Sinnen. Ein Verrückter! Wahrscheinlich steckt der Arme schon im Gefängnis.« Er klatschte in die Hände. »Nun genug der Tratscherei. Geht an die Arbeit!«
    Die Gruppe zerstreute sich murrend und die beiden Wächter begannen gemächlichen Schrittes ihre Runde.
    Rafael ließ sich gegen den kühlen Stein der Säule sinken. Ein Fluch, der über Venedig verhängt worden war? Nein, das war einfach unvorstellbar. Der Wächter hatte sicherlich recht damit,
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