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Lilien im Sommerwind

Lilien im Sommerwind

Titel: Lilien im Sommerwind
Autoren: Nora Roberts
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Duft. Der Weg zur Lichtung war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Dieser Treffpunkt, dieser geheime Ort, wurde gut gepflegt, behütet und geliebt.
    Da Hope als Erste da war, nahm sie Zweige und knorrige Äste vom Holzstapel und entzündete ein Feuer. Der Rauch sollte die Moskitos fern halten, aber sie kratzte bereits an den Stichen, mit denen ihre Arme und Beine übersät waren.
    Sie nahm sich ein Plätzchen und ihre Cola und setzte sich hin.
    Nach einer Weile fielen ihr die Augen zu, und die Musik des Sumpfes lullte sie ein. Das Feuer fraß sich durch das Holz und wurde zu Glut. Schläfrig legte Hope den Kopf auf die hochgezogenen Knie.
    Zuerst war das Rascheln nur Teil ihres Traums, in dem sie durch verwinkelte Pariser Straßen schlich, um dem bösen russischen Spion nicht in die Arme zu laufen. Als jedoch ein Zweig unter einem Schritt knackte, fuhr ihr Kopf hoch, und sie rieb sich den Schlaf aus den Augen. Sie grinste breit, verfiel dann aber rasch in das professionelle Verhalten einer Geheimagentin.
    Passwort!
    Außer dem monotonen Summen der Insekten und dem leisen Knistern des Feuers herrschte Stille im Sumpf.
    Taumelnd sprang Hope auf und hielt die Taschenlampe wie eine Pistole in der Hand. »Passwort!«, rief sie wieder und richtete den kurzen Lichtstrahl vor sich.
    Jetzt jedoch raschelte es hinter ihr, also fuhr sie herum, und ihr Herz machte einen nervösen Satz. Angst, etwas, das sie in ihren acht kurzen Lebensjahren so selten verspürt hatte, schnürte ihr heiß die Kehle zu.
    Komm schon, sag es. Du jagst mir keine Angst ein.
    Ein Geräusch von links, absichtlich, höhnisch. Wieder stieg die Angst in ihr auf, und sie trat einen Schritt zurück.
    Und dann hörte sie das Lachen, leise, keuchend, dicht bei ihr.
    Hope rannte los, rannte durch die Dunkelheit und die schmalen Lichtstreifen. Blankes Entsetzen schnürte ihr die Kehle zu, schnitt ihre Schreie ab, bevor sie sie ausstoßen konnte.
    Hinter ihr schwere Schritte. Schnell, zu schnell, und viel zu nah. Etwas trifft sie von hinten. Ein heftiger Schmerz im Rücken, der ihr bis in die Fußsohlen schießt. Schwer fällt sie zu Boden, und schluchzend entweicht die Luft ihren Lungen, als er sie mit seinem Gewicht niederdrückt. Sie riecht Schweiß und Whiskey.
    Sie schreit jetzt, einen langen verzweifelten Schrei, und ruft nach ihrer Freundin.
    Tory! Tory, hilf mir!
    Und die Frau, die in dem toten Kind gefangen ist, weint.
     
    Als Tory wieder zu sich kam, lag sie auf den Fliesen in ihrem Patio. Sie trug nur ein Nachthemd, das von dem feinen Frühlingsregen bereits ganz durchweicht war. Ihr Gesicht war nass, und sie schmeckte das Salz ihrer eigenen Tränen.
    Schreie hallten in ihrem Kopf wider, aber sie wusste nicht, ob es ihre eigenen waren oder die des Kindes, das sie nicht vergessen konnte.
    Zitternd rollte sie sich auf den Rücken, damit der Regen ihre Wangen kühlen und ihre Tränen wegwaschen konnte. Die Episoden - Anfälle nannte ihre Mutter sie immer - ließen sie oft schwach und zitterig zurück. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie sie unterdrücken können, bevor sie sie überfielen. Oder der stechende Schmerz vom Gürtel ihres Vaters hatte sie verdrängt.
    Ich peitsche dir den Teufel aus dem Leib, Mädchen!
    Für Hannibal Bodeen war der Teufel überall - in jeder Angst und jeder Versuchung lauerte die Hand des Satans. Und er hatte sein Bestes getan, um seinem einzigen Kind das Böse auszutreiben.
    In diesem Moment, während ihr die Übelkeit den Magen umdrehte, wünschte Tory, es wäre ihm gelungen.
    Es erstaunte sie, dass sie jahrelang das, was in ihr war, angenommen hatte, es erforscht, benutzt, ja sogar willkommen geheißen hatte. Ein Vermächtnis, hatte ihre Großmutter zu ihr gesagt. Das zweite Gesicht. Das dritte Auge. Ein Geschenk des Blutes durch das Blut.
    Aber da war Hope. Immer häufiger war da Hope, und die aufblitzenden Kindheitserinnerungen ihrer Freundin taten Torys Herzen weh. Und jagten ihr Angst ein.
    Nichts, was sie je erlebt hatte, wenn sie ihre Gabe entweder unterdrückte oder annahm, hatte sie so mitgenommen, so überwältigt. Es machte sie hilflos, obwohl sie sich gelobt hatte, nie wieder hilflos zu sein.
    Und doch lag sie hier auf ihrer Terrasse im Regen, ohne auch nur im Geringsten zu wissen, wie sie nach draußen gekommen war. Sie war in der Küche gewesen und hatte sich Tee gekocht, Licht und Radio waren an, und Tory hatte an der Theke gestanden und einen Brief von ihrer Großmutter gelesen.
    Das war der
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