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Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Susanne Mischke
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schlecht geputzten Turnhallen und Matten, über die schwitzende Wildfremde mit nackten Füssen liefen. Von Sammelumkleiden und Gemeinschaftsduschen erst gar nicht zu reden. Nur Leona Kittelmann, Kunst und Sport, nahm manchmal an der privaten Unterrichtsstunde teil. Sie war amüsant, gepflegt und roch nach Pudding.
    Auf die morgendlichen Yogaübungen folgte die immer gleiche Routine; Mathilde funktionierte wie ein Uhrwerk: duschen, Haare fönen, Auswahl der Kleidung in Abstimmung mit den Wetterdaten, Tee aufbrühen, Zeitung holen, Tarotkarte ziehen, frühstücken.
    Die Tarotkarte des ersten Schultages war die Neun der Schwerter : Grausamkeit.
    »Na also«, murmelte Mathilde. Sie nahm das Teesieb aus der Kanne und ging nach unten, die Zeitung holen. Ihre Schritte klackerten durch die Totenstille des Treppenhauses. Man wohnte ruhig hier, im Zooviertel.
    Zum japanischen Grüntee las sie die Zeitung. Nach dem Frühstück, das sie stets um sieben Uhr fünf beendete, ging Mathilde noch einmal ins Bad. Es war ganz in Weiß gehalten. In Mathildes Wohnung gab es viel Weiß, dagegen war das Gros ihrer Kleidung schwarz. Sie putzte sich die Zähne und schminkte ihre Lippen in einem strengen Burgunderrot. Ohne dieses Rot fühlte sie sich nackt im Gesicht.
    »Ein Gesicht, als hätte Picasso die Callas gemalt«, hatte ihr irgendein Mann einmal gesagt. Eigenwillig, wollte dieser Euphemismus wohl sagen. Irgendwie schroff und unregelmäßig, fand Mathilde. Sie trug einen Hauch Make-up auf und blieb vor dem Spiegel stehen. Warnend zog sie die Brauen hinauf, dann erbost zusammen, glättete ihre Stirn und deutete ein ironisches Lächeln an. Es folgten das Raubtierlächeln, der vernichtende Seitenblick, das Fletschen des linken Eckzahns. Am Ende ihrer Exerzitien zwinkerte sie sich zufrieden zu. Sie erprobte ihr Mienenspiel jeden Morgen. Ihr Beruf erforderte perfekte Schauspielerei.
    Ehe sie ging, widmete sie sich der Hutauswahl. An der längsten Wand des Schlafzimmers bewahrte sie fünfundneunzig Hüte auf. Die meisten stammten aus Merle Degens eigener Manufaktur, die sie nach dem Krieg gegründet hatte, nur die Strohhüte waren aus Italien. Die Hüte ruhten in runden Schachteln aus massiver Pappe oder sogar aus Leder. Es gab gestreifte Schachteln, einfarbige und solche mit floralen Mustern. Borsalino, Auseer, Barett, Florentiner, Kanotier, Casseur, Melone … Mathilde wußte genau, in welcher Schachtel welcher Hut lag. Einige kannte sie schon ihr Leben lang, denn die Lindener Hutfabrik hatte ihr den Kindergarten ersetzt. Seit Merle gestorben war und die Hüte bei ihr Einzug gehalten hatten, trug Mathilde täglich einen von ihnen. Sogar den Lodenhut mit der geringelten Auerhahnfeder hatte sie schon ausgeführt, aber nur einmal, zum Schützenfest.
    Um halb sieben erfolgte die »Lebendkontrolle«. Der Haftraum wurde aufgesperrt. Lukas erwachte stets kurz vorher vom Rasseln der Schlüssel und Schlüsselketten, vom Knallen der Türen, die ins Schloß fielen. Der Ausdruck hinter Schloß und Riegel hatte auch im Zeitalter der Videoüberwachung nichts von seiner ursprünglichen Bedeutung eingebüßt.
    Das Bett bestand aus einer dünnen Matratze aus schwer entflammbarem Material, die auf einem Holzbrett lag. Die gestreifte Bettwäsche und das Laken waren gebügelt und imprägniert, wodurch sie sich kalt und gummiartig anfühlten. Lukas hatte schon härter geschlafen. Dennoch träumte er manchmal von einem weichen Bett mit weicher, duftender Bettwäsche, und einer weichen, duftenden Frau darin. Oder einer Nacht unter freiem Himmel. Und von einem ausgedehnten Schaumbad in einer Badewanne. Ob man den Gefängnisgeruch je wieder loswürde?
    Karim hatte Kaffee aufgesetzt und ging nun sein Frühstück holen, damit Lukas seine Morgentoilette in Ruhe verrichten konnte. Lukas machte das Fenster weit auf. Es wies nach Westen. Noch wehte morgenkühle Luft durch die Betongitter herein. Aber es würde ein warmer Tag werden, und nach der Arbeit würde die Zelle stickig und aufgeheizt sein. Manchmal verglich Lukas das Gefängnis mit einer Bienenwabe. Wo sonst lebten so viele Wesen zusammen auf so engem Raum? Selbst ein Hundezwinger hatte dem Gesetz nach größer zu sein als diese Zelle für zwei Mann.
    Er machte ein paar Liegestütze und Situps, dann schaute er hinaus auf die ebenfalls vergitterten Fenster des U-Haft-Blocks gegenüber, auf den verdorrten Rasen des Freigeländes und hinauf in einen hellgrauen Sommerhimmel über Stacheldrahtrollen.
    Karim kam mit
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