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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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bedeutet, mein geplanter Rückweg ist versperrt. Verdammt! Wie soll ich nur oben aus dem Haus rauskommen? Vielleicht im Wohnzimmer – aber die Terrassentür führt auf ein großes knarzendes Holzdeck, das auf eisernen Stelzen steht. Von dort führt nur eine Wendeltreppe aus Stahl nach unten in den Garten und die macht höllischen Lärm. Die vordere Tür ist, wie ich mittlerweile weiß, nachts immer abgeschlossen.
    Aber ich sollte jetzt keine Zeit mehr verlieren. Diese Gelegenheit ist einmalig. Entschlossen schleiche ich Stufe für Stufe nach oben. Je höher ich komme, desto mehr duftet es nach ihr . Es ist ein blumiger, fruchtiger Geruch, den ich schon ein paar Mal an ihr gerochen habe, wenn sie im Dorf in einem Laden an mir vorbeigelaufen ist, ohne mich dabei wahrzunehmen. Auf alle Fälle riecht sie ganz anders, als sie immer gerochen hat – sie, deren antiseptischer Geruch allerhöchstens mal von Lavendel oder Kölnisch Wasser übertönt wurde.
    Hör auf damit, lass das, ermahne ich mich selbst. Ich sollte das nicht tun. Keine Vergleiche. Darum geht es hier nicht. Konzentriere dich auf deinen Plan.
    Ich bleibe stehen und schaue mich um. Dort drüben im Wohnzimmer sind die Bücherregale und die Bilder. Heute muss ich endlich etwas finden, das mir Gewissheit gibt. Ich halte das nicht länger aus, ich werde noch vollkommen verrückt. Und wer weiß, was ich dann zu tun imstande bin?

4.
    Es war so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. Als es mir gelang, deine Aufmerksamkeit zu erregen, und du deine braunen Augen voll auf mich gerichtet hattest, da wusste ich tief in meinem Herzen, dass wir zusammengehören. Für immer.
    Vogelgezwitscher weckt mich. Es klingt genauso unecht wie das, was sie in Vegas in den Kasinotoiletten abspielen, um die Pinkelgeräusche zu übertönen. Doch das hier ist ganz bestimmt echt.
    Als ich aufstehe, merke ich, wie verdammt müde ich immer noch bin, nachdem ich die halbe Nacht Mails an Vicky geschrieben habe. Natürlich habe ich ihr als Erstes von meinem Abenteuer mit Stefan auf dem Rastplatz erzählt. Sie hat mir dann auch sofort in typischem Vicky-Style geantwortet: Sie fand sein Verhalten ganz schön gruselig und wollte wissen, ob er denn wenigstens gut aussehen würde. Aber später meinte sie, dass wir vielleicht überreagieren, weil wir keine Ahnung haben, wie das hier in Europa so läuft. Ihre Gasteltern wären auch komisch, wahnsinnig reserviert und kurz angebunden, da müsste man einfach mal abwarten, wie sich alles entwickelt – und genau das denke ich auch.
    Müde, aber trotzdem neugierig trete ich auf den Rasen vor meiner Tür und drehe mich zum Wald um.
    Das, was mir gestern Abend wie ein schwarzes Loch vorgekommen ist, wirkt jetzt im Sonnenlicht, als wäre es ein geheimnisvoller, freundlicher Märchenwald. So ähnlich habe ich mir die Wälder in Grimms Märchen vorgestellt, die mir Grannie immer erzählt hat, wenn Mom im Kasino arbeiten musste. Mir gefielen die echten deutschen Märchen viel besser als diese albernen Disneyversionen. Ich liebte es, wenn die böse Hexe am Ende in den Ofen geschubst wurde und sich Schneewittchens Stiefmutter zu Tode tanzen musste.
    Hier draußen ist das irgendwie künstliche Gezwitscher noch viel lauter als drinnen und es duftet nach Rosen und Lavendel und Gras. Ich atme tief durch, gehe ein paar Schritte die Böschung hoch und schaue zum Ort hin.
    Einen Moment lang scheint es unwirklich, dass ich gerade tatsächlich den Ort sehe, an dem meine Großmutter aufgewachsen ist. Von Weitersheim ist Grannie damals in den sechziger Jahren abgehauen, um nach San Francisco und dann nach Woodstock zu gehen. Der Gedanke, dass Grandma sogar von einem anderen Kontinent weggelaufen ist, weil sie unbedingt Hippie sein wollte, hat mir immer schwer imponiert und ihre Geschichte hat mich schon als kleines Kind fasziniert. Ich finde Grannie unheimlich cool, aber Mom hat sich für ihre peinliche Hippiemutter all die Jahre nur geschämt und die beiden haben eher ein schwieriges Verhältnis. Grannie war immer für mich da – was ich von meiner Mom nicht unbedingt behaupten kann. Klar, sie hat es nicht leicht gehabt, als Dad uns verlassen hat, aber Grannies Leben war auch nicht einfach gewesen.
    Während ich über Grannie nachdenke, mache ich einen Rundgang durch den Garten, der am Wald endet. Plötzlich muss ich lächeln. Meine Freundinnen waren früher richtig scharf darauf, zu mir und meiner crazy German Grandma zu kommen. Grannie lief immer noch so rum, als wäre
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