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Liebesfluch

Liebesfluch

Titel: Liebesfluch
Autoren: Beatrix Gurian
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»Wie lautet die Notrufnummer?«, frage ich, was Anja ein ungläubiges Kopfschütteln entlockt.
    »110!«, stöhnt sie. »Und beeil dich.«
    Mit zitternden Fingern wähle ich die Nummer und plötzlich überfällt mich die Angst, dass ich vor lauter Panik kein Deutsch mehr kann. Doch dann zwinge ich mich, an Grannie zu denken und an ihr Motto ›In der Ruhe liegt die Kraft‹.
    Keine Ahnung, was ich am Telefon gesagt habe, alles verschwimmt in meinem Kopf, ich starre nur auf die arme Mia, die immer noch leicht blau aussieht. Ich komme erst wieder zu mir, als ich die Sirenen von Weitem höre.
    Tatsächlich ist ein Kinderarzt mit einem roten Stethoskop dabei, der so gelassen und überlegt abfragt, was passiert ist, dass sich alle beruhigen. Dann bekommt dieses winzige Wesen eine Infusion und eine Sauerstoffmaske und wird in den Krankenwagen geladen.
    Anja weigert sich zuerst, Bennie bei mir zu lassen, und übergibt ihn mir mit so viel Widerwillen, als wäre meine Anwesenheit der Grund für Mias Atemnot. Zum Glück drängen die Sanitäter zur Eile, deshalb gibt Anja nach, schärft mir aber ein, sofort ihren Mann anzurufen und ihm zu sagen, dass er nach Hause kommen solle. Die Nummer stünde in dem schwarzen Buch neben dem Telefon.
    Ich verspreche alles, nehme Bennie auf meinen Arm und suche dann sofort das schwarze Buch, von dem sie gesprochen hat.
    Der Kleine brüllt empört, als wüsste er genau, dass seine Mutter ohne ihn weggefahren ist. Ich verstehe ihn gut, denn ich bin noch vollkommen fremd für ihn. Deshalb gehe ich mit Bennie durch die Wohnung auf das Holzdeck ins Freie, wiege ihn sanft hin und her und singe ihm alles vor, was mir einfällt. Versuche dabei, selbst wieder runterzukommen. Mein Puls ist immer noch unregelmäßig. Das Ganze ging so schnell. Außerdem fühle ich mich wie benebelt, weil mein Körper und mein Hirn vom Flug vollkommen durcheinander sind. Den Jetlag hatte ich wirklich total unterschätzt.
    Erleichtert entdecke ich unten im Garten eine große Baumschaukel. Super, dieses Hin- und Herschwingen wird Bennie bestimmt so gut gefallen, dass er aufhört zu weinen.
    Ich steige vorsichtig die Stahlstufen der Wendeltreppe nach unten. Meine Beine fühlen sich immer noch leicht zittrig an. Bei jedem Schritt dröhnt und vibriert der Stahl, was Bennie zu gefallen scheint. Er hört auf herumzuquengeln und wird schließlich ganz still, schaut sich neugierig um und greift dann mit den Händchen nach dem Geländer. Als ich seine Fingerchen um das kalte Metall lege, weiten sich seine großen braunen Augen, er gluckst und stopft sich die ganze Hand in den Mund. Dann beginnt er zu lachen. Um ihm eine Freude zu machen, gehe ich die Treppe gleich ein paarmal rauf und runter. Schließlich wird er unruhig und möchte, dass ich ihn runterlasse.
    Ich setze Bennie auf die Wiese und hocke mich selbst auf die unterste Stufe. Völlig erschöpft, obwohl ich erst seit knapp zwei Stunden wach bin, sehe ich dabei zu, wie Bennie versucht, sich am Treppengeländer hochzuziehen. Er strahlt mich mit diesem zahnlosen Babygrinsen an, als es ihm endlich nach mehreren Versuchen gelingt. Er fällt zwar gleich wieder auf seinen dicken Windelpo, aber das hindert ihn nicht daran, sich sofort erneut hochzuziehen.
    Ich finde ihn erstaunlich fit und er wirkt gar nicht krank, sondern voller Energie – auf alle Fälle ist er tausendmal fitter, als ich es bin. Ich schaue ihm eine Weile zu und versuche, meine Gedanken zu ordnen.
    Was für ein Chaos gleich an meinem ersten Tag! Das war nun also die Wirklichkeit – es kommt mir so vor, als hätte ich in all den Kursen, die ich absolviert habe, nur mit Puppen gespielt. Puppen laufen jedenfalls nicht blau an.
    Plötzlich fällt mir siedend heiß ein, dass ich Stefan noch nicht angerufen habe. Ich springe auf, nehme Bennie auf den Arm und renne die Stahltreppe wieder rauf. Das mag er nicht, er schnappt überrascht nach Luft und beginnt zu brüllen.
    Was, wenn das sein Vater hört? Egal, ich muss jetzt das schwarze Buch finden.
    »Bennie, verrate mir, wo ist das Buch?« Ich singe ihm die Frage vor, ganz hoch, ganz tief und mit Mickey-Mouse-Stimme. »Wo ist das Buch, wo, wo, wo?« Bennie fängt wieder an zu lachen. Besonders meine Mickey-Mouse-Variante scheint ihm unheimlich gut zu gefallen.
    Ich durchsuche die Küche, den Flur und werde endlich im Wohnzimmer fündig. Das Notizbuch liegt auf einem Side­board, auf dem viele Fotos stehen – und zwar exakt neben einem Bild, um das eine schwarze
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