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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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Als der Honda-Fahrer alle Fenster des silberfarbenen Peugeot eingeschlagen hatte und auf dessen Fahrer zuging, dabei seine Waffe schwang und sich auf den finalen Siegesschlag vorbereitete, wurde Martin klar, dass der Mann am Boden wahrscheinlich sterben würde, von dem verrückten Mann mit dem Baseballschläger wahrscheinlich vor ihren Augen
umgebracht
würde, wenn nicht irgendjemand irgendetwas unternahm, und instinktiv, ohne nachzudenken – denn hätte er darüber nachgedacht, er hätte es vielleicht nicht getan –, zog er die Tasche von seiner Schulter und schleuderte sie auf Hammerwerferart dem wahnsinnigen Honda-Fahrer an den Kopf.
    Er traf nicht den Kopf des Mannes, was ihn nicht überraschte – er hatte noch nie fangen oder werfen können, er gehörte zu denjenigen, die sich ducken, wenn ein Ball in ihre Richtung fliegt –, aber in der Tasche befand sich sein Laptop, und die harte, breite Kante prallte gegen die Schulter des Honda-Fahrers, der zurücktaumelte.
    Bislang war Martin dem Schauplatz eines echten Verbrechens nie näher gekommen als bei einem Besuch des Schriftstellervereins auf dem Polizeirevier von St. Leonard. Von Martin abgesehen, bestand die Gruppe ausschließlich aus Frauen. »Sie sind unser Alibimann«, hatte eine Frau zu ihm gesagt, und er hatte aus dem höflichen Lachen der anderen eine gewisse Enttäuschung herausgehört, als hätte er sich als ihr Alibimann zumindest bemühen können, etwas weniger wie eine Frau zu sein.
    Kaffee und Kekse wurden serviert – Bourbon-Schokoladenkekse, Waffeln mit rosa Füllung, das Sortiment war beeindruckend –, und ein »ranghoher Polizist« hielt einen vergnüglichen Vortrag in einem neuen Konferenzraum, der aussah, als wäre er für Gruppen wie ihre entworfen worden. Dann wurden sie durch die verschiedenen Teile des Gebäudes geführt, das Callcenter und einen höhlenartigen Raum, in dem zivil gekleidete Leute (»Kriminalpolizisten«) vor Computern saßen, kurz zu den »Schriftstellern« blickten, korrekterweise entschieden, dass sie unwichtig waren, und sich wieder ihren Bildschirmen zuwandten.
    Sie mussten sich für eine Gegenüberstellung in einer Reihe aufstellen, von einem Mitglied ihrer Gruppe wurden Fingerabdrücke genommen, und sie wurden – kurz – in eine Zelle gesperrt, wo sie mit den Füßen scharrten und kicherten, um der Klaustrophobie die Spitze zu nehmen. »Kichern«, ging Martin durch den Kopf, war ein ausgesprochen weibliches Wort. Frauen kicherten, Männer lachten. Martin sorgte sich, dass er selbst ein Kicherer war. Und wie für sie inszeniert, wurden sie am Ende der Führung mit einem leichten Schauder der Angst Zeugen, wie hastig ein Einsatzteam zusammengestellt wurde, das einen »schwierigen« Häftling aus einer Zelle holen sollte.
    Die Führung hatte keinen großen Einfluss auf die Bücher, die Martin in Person seines Alter Ego »Alex Blake« schrieb. Es waren harmlose altmodische Kriminalromane mit einer Heldin namens »Nina Riley«, einem hitzköpfigen Mädchen, das von ihrem Onkel eine Detektei geerbt hatte. Die Handlung spielte stets in den vierziger Jahren, kurz nach dem Krieg. Es war eine Ära, zu der sich Martin besonders hingezogen fühlte, der monochrome Mangel, die latent vorhandene, als schäbig empfundene Enttäuschung im Schlepptau des Heroismus. Das Wien von
Der dritte Mann
, das Londoner Umland in
Begegnung
. Wie musste es gewesen sein, in einem gerechten Krieg gekämpft, so viele edle Gefühle empfunden zu haben (ja, eine Menge war Propaganda, aber tief im Inneren steckte ein wahrer Kern), von der Last des Individualismus befreit gewesen zu sein? Am Rand von Zerstörung und Niederlage gestanden und es doch geschafft und dann gedacht zu haben:
Was jetzt?
Natürlich empfand Nina Riley nichts davon, sie war erst zweiundzwanzig und hatte den Krieg in einem Schweizer Mädchenpensionat verbracht. Und sie war nicht real.
    Nina Riley war ein Wildfang, aber sie wies keine offensichtlichen lesbischen Tendenzen auf, und ständig machten ihr jede Menge Männer den Hof, denen gegenüber sie sich jedoch bemerkenswert keusch verhielt.
(»Es ist«, schrieb ihm eine »verständnisvolle« Leserin, »als wäre die Schulsprecherin einer Schweizer Alpenschule erwachsen und Detektivin geworden.«)
Nina lebte in einer geografisch nicht näher bestimmten Version von Schottland, wo es Meer, Berge und wogende Moorlandschaften gab und wo jede größere Stadt in Schottland (häufig auch in England, nie jedoch in Wales, was
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