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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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er vielleicht einmal ändern sollte) mit einer schnellen Fahrt in ihrem schnittigen Bristol Coupé zu erreichen war. Als er das erste Nina-Riley-Buch schrieb, hatte er es als liebevolle Verneigung vor einer früheren Zeit und einer früheren Form verstanden. »Ein Pastiche, wenn Sie so wollen«, sagte er nervös, als er seiner Verlagslektorin vorgestellt wurde. »Eine Art ironischer
homage.«
Es erstaunte ihn, dass das Buch verlegt wurde. Er hatte es geschrieben, um sich zu amüsieren, und plötzlich saß er in einem nichtssagenden Londoner Büro und hatte das Gefühl, er müsse den Unsinn, den er verfasst hatte, vor der jungen Frau rechtfertigen, der es anscheinend schwerfiel, sich auf ihn zu konzentrieren.
    »Sei’s drum«, sagte sie, sichtlich bemüht, ihn unverwandt anzublicken, »ich sehe ein Buch, das ich verkaufen kann. Eine Art heitere Mordgeschichte. Die Leute
lieben
Nostalgie, die Vergangenheit ist wie eine Droge. An wie viele Bücher haben Sie bei dieser Serie gedacht?«
    »Serie?«
    »Hallo.«
    Martin wandte sich um und sah einen Mann in einer Haltung nahezu absurder Lässigkeit am Türstock lehnen. Er war älter als Martin, aber jünger gekleidet.
    »Hallo«, sagte die junge Lektorin und schenkte dem Mann ihre hingerissene Aufmerksamkeit. Der minimale Wortwechsel schien nahezu unerträglich bedeutungsschwanger.
    »Neil Winters, unser Verlagsleiter«, sagte sie mit stolzem Lächeln. »Das ist Martin Canning, Neil. Er hat ein
wunderbares
Buch geschrieben.«
    »Phantastisch«, sagte Neil Winters und begrüßte Martin mit einem Handschlag. Die Hand war feucht und weich wie etwas Totes, das an den Strand gespült worden war. »Das erste von vielen, hoffe ich.«
    Ein paar Wochen später wurde Neil Winters in die höheren Sphären des europäischen Mutterschiffs versetzt, und Martin sah ihn nie wieder, nichtsdestoweniger betrachtete er das Händeschütteln als den unzweideutigen Augenblick, in dem sich sein Leben verändert hatte.
    Martin hatte vor kurzem die Fernsehrechte an den Nina-Riley-Büchern verkauft. »Als ob man in ein warmes Bad steigt. Das perfekte Futter für den Sonntagabend«, sagte der Produzent der BBC , und es klang wie eine Beleidigung, was es natürlich auch war.
    In der zweidimensionalen fiktiven Welt, in der Nina Riley lebte, hatte sie bislang drei Mordfälle, einen Juwelenraub und einen Banküberfall aufgeklärt, ein gestohlenes Rennpferd aufgespürt, verhindert, dass der kleine Prinz Charles aus Balmoral entführt wurde, und in ihrem sechsten Fall, nahezu ohne fremde Hilfe, das Vorhaben vereitelt, die schottischen Kronjuwelen zu stehlen. Das siebte Buch,
Der Affenschwanzbaum,
lag jetzt als Taschenbuch auf den »Drei Bücher zum Preis von zwei«-Tischen in jeder Buchhandlung. Es sei »düsterer«, war die einhellige Meinung (
Blake bewegt sich endlich auf einen reiferen schwarzen Stil zu,
hatte »ein Leser« bei Amazon geschrieben. Heutzutage ist jeder ein Kritiker), dennoch fand es laut seiner Agentin Melanie nach wie vor »lebhaften« Absatz. Melanie war Irin, weswegen alles, was sie sagte, nett klang, auch wenn es nicht so gemeint war.
    Wenn jemand ihn fragte – was häufig der Fall war –, warum er Schriftsteller geworden sei, antwortete Martin für gewöhnlich, dass es, da er sowieso die meiste Zeit in einer Phantasiewelt lebte, eine gute Idee schien, sich dafür bezahlen zu lassen. Er sagte es freundlich, ohne zu kichern, und die Leute lächelten, als hätte er etwas Amüsantes gesagt. Was sie nicht verstanden, war, dass es die Wahrheit war – er lebte in seinem Kopf. Nicht auf intellektuelle oder philosophische Weise, nein, sein Innenleben war bemerkenswert banal. Er wusste nicht, ob das auf alle Menschen zutraf. Verbrachten sie ihre Zeit mit Tagträumen von einer besseren Version des Alltags? Niemand sprach über das Eigenleben seiner Phantasie, außer in Kategorien von so etwas wie Keats’scher Überhöhung. Niemand erzählte von dem Vergnügen sich vorzustellen, man sitze in einem Liegestuhl auf dem Rasen unter einem wolkenlosen Hochsommerhimmel, betrachte das fürstliche Mahl eines richtigen, altmodischen Fünf-Uhr-Tees, zubereitet von einer mütterlichen Frau mit vollem Busen und makelloser Schürze, die Dinge sagte wie, »Na komm schon, iss auf, Schatz«, denn so redeten mütterliche Frauen mit vollem Busen in Martins Phantasie, eine seltsame Art Sub-Dickens’scher Diskurs.
    Die Welt in seinem Kopf war so viel besser als die außerhalb seines Kopfes. Teegebäck,
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