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Liebesbisse

Liebesbisse

Titel: Liebesbisse
Autoren: Claire Castillon
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küsst sie.
     
    Es war im Sommer. Er ging spazieren, ich begleitete ihn. Wir gingen weit weg. Seine Stimme war mir lieber als der Lärm der Eltern und Freunde im Haus, als der Ball im Garten, der Geruch von pochierten Feigen und Pflaumenmarmelade. Ich zog den Straßenstaub und die Sonne vor, die mich in den Schatten seines Schattens drückte. Wir gingen lange, wir gingen schnell. Und kamen spät zurück. Alle sagten: Ha, da sind sie ja wieder, die beiden! Seine Frau lächelte uns zu. Ein schönes Paar! Man könnte sie für Liebende halten!
    Er hat lange dagegen angekämpft, hat meine Anträge abgelehnt, ist meinen Blicken, meiner Hand unter dem Tisch, meinem Fuß an seinem Fuß ausgewichen. Eine Zeit lang wollte er mich überhaupt nicht sehen. Ich brachte ihn zum Erröten und zwang ihn, seine Schuhe statt meiner Schenkel anzustarren und seine Frau zu bewundern, damit sich unsere Blicke nicht mehr kreuzten. Ich flüsterte ihm Worte zu, die wie Klagen klangen, damit ich unhörbare Antworten bekam und den duftenden Atem riechen konnte, der seine Worte begleitete. Ich fing unser beider Atem hinter meiner kleinen Hand ein, und seine allmächtigen Finger schlugen meine vorgehaltene Hand weg, die unsere Gesichter verbarg, wie um zu zeigen, ihr zu zeigen, dass unsere Münder sich ganz nah waren.
     
    Als ich mit ihm schlief, hatte er die Augen geschlossen. Im Zimmer nebenan hörte man die Kinder schreien. Und seine Frau, die nach ihm rief: Wo sind denn die beiden? Gehen wir endlich zu Tisch und essen, wir warten nicht länger auf sie!
    Wir schliefen miteinander, mit offenen Augen, er flehte mich an zu kommen. Er zog mich auf sich, sagte: Ich flehe dich an. Ich schob mich unter ihn und biss ihm in den Hals, leckte ihm das Gesicht, die Wimpern, die Lider. Seine Frau schöpfte Suppe, und wir, wir schrien.
     
    Am nächsten Tag gab es ein Problem im Büro. Er reiste ab. Die Ferien waren vorüber. Ich versuchte, ihn zu erreichen. Lass ihn doch arbeiten, sagte seine Frau und wurde sauer, was hast du ihm denn immer so Wichtiges zu sagen?
    Eines Abends wollte er mit mir sprechen: Wir dürften nicht mehr an das denken, was geschehen war. Tragisch, unmöglich, ein Irrsinn, ein Irrtum, eine Geschmacklosigkeit – all diese Worte hintereinander. Er sagte, ich mache mir Vorwürfe, und ich: O nein, sag das nicht, ich habe es doch gewollt.
    Meine einzige Angst während all dieser Jahre war, dass er sich plötzlich umbringen, gegen eine Wand fahren, aus dem Fenster springen könnte. Ich beschloss zu warten. Von da an wich er seiner Frau im Ferienhaus den ganzen Tag lang nicht mehr von der Seite. Mach einen Spaziergang, sagte sie, lieg mir doch nicht immer zu Füßen wie ein alter Hund, los, geh, und bring mir Obst mit!
    Er verschwand im Laufschritt. Ich blieb da, ich wollte nicht kaputt machen, was in ihm reifte. Aufgeregt drehte er sich um, er glaubte, ich würde ihm folgen. Ich stand am Fenster, zog meine Kleider aus und ließ ihn mich nackt ansehen. Ich stellte mir eine Brombeere zwischen seinen Lippen vor, sie schwärzte seine Zähne. Ich ging an seine Schmutzwäsche und steckte die Nase hinein. Und lachte, ganz allein, während ich mir vorstellte, wie seine schockierte Frau mich überrascht.
    Eines Abends sagte seine Frau: Können wir ihn denn endlich mal sehen, diesen Jungen, den du uns verheimlichst? Du versteckst ihn vor uns – wir werden ihn dir nicht wegnehmen. Schämst du dich? Du musst doch verstehen, dass wir neugierig sind.
    Ich sah, wie mein Mann in sich zusammensank. Er verließ den Tisch. Er verließ seine Frau. Aber ich hatte nichts von ihm verlangt.
    Er lebte ganz allein, fern von ihr, fern von mir. Sie fragte überall nach Neuigkeiten von ihm, aber ich, ich hatte keine. Bis zu dem Tag, als er die Schlüssel eines Hauses in der Hand hielt und zu mir sagte: Komm.
     
    Seitdem lebe ich mit ihm. Er ist mein Freund. Seine Frau kommt manchmal zum Mittagessen, während er auf der Arbeit ist. Sie fragt, ob ich hier mit jemandem zusammenlebe, aber ich antworte nicht. Sie wird älter, das ist schade. Das Leben ohne ihren Mann strengt sie an. Sie erzählt mir von dem Backfisch, dem Backfisch deines Vaters, wie sie sagt, wie sie schimpft. Man hat ihn wieder mit dieser Göre auf der Straße gesehen, so eine Schande, in seinem Alter!
    Wieder fängt sie von ihm an, sie redet nur von ihm.
    Sie sieht dir übrigens ähnlich! Hat er dir etwas gesagt? Wollen sie ein Kind? Sag’s mir endlich!
     
    Das wollen wir gern, Maman.

Unendliche
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