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Lieber tot als vergessen

Lieber tot als vergessen

Titel: Lieber tot als vergessen
Autoren: Denise Danks
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sah mich um, als stehe jemand hinter mir. Aber da war niemand.
    Eine Viertelstunde später stand er vor meiner Tür. Er sah gehetzt aus, und die Kälte klebte an seinem durchfrorenen Körper, als er hereingehinkt kam.
    »Was gibt’s denn?« fragte ich und bot ihm etwas zu trinken an.
    Er ließ sich aufs Sofa fallen und legte das Bein auf den Couchtisch. »Wo ist dein Freund?« fragte er und klopfte seine Taschen nach Zigaretten ab.
    Ich nahm meine vom Tisch und hoffte, daß meine Hand nicht zittern möge. »Tony Levi? Ich weiß nicht.« Ob Keith sich in der Gegend herumgetrieben und den Block beobachtet hatte? Er sah bläulich weiß gefroren aus. Stirnrunzelnd zog er die Ginflasche über den Tisch zu sich heran.
    »Ich konnte noch nicht wieder in meine Wohnung. Ich muß aber hin. Guck dir meine Klamotten an! Und ich friere mir den Arsch ab. Kein Scotch?«
    »Keiner mehr da.«
    »Irgend was, was ich dazu trinken kann?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Okay. Trink ich ihn eben pur.« Er schenkte sich ein halbes Glas ein, kippte es herunter und schüttelte sich. Dann blickte er mit tränenden rosa Augen auf und fragte, ob ich die Gasheizung aufdrehen könne. »Und kannst du mir was Heißes machen? Was zu essen, Kaffee? Ich hab’ nicht geschlafen, und ich fühle mich beschissen.«
    Ich nickte.
    »Okay. Wo bist du gewesen, Keith?« fragte ich ein paar Minuten später, als ich mit Toast und einem dampfenden Becher Kaffee aus der Küche kam. Enttäuscht sah er den Teller an. »Tut mir leid, ich habe nie viel da.« Ich stellte Teller und Becher vor ihn auf den Tisch.
    Er zog an seiner Zigarette und wölbte die fleckigen Finger um die Glut. »Die Polizei hat mich vernommen. St. John hatten sie die ganze Nacht da.«
    »Und sie haben dich gehen lassen?«
    »Sie haben Fragen über letzte Nacht gestellt. Mit dir werden sie als nächstes reden wollen. Ich habe gesagt, ich war den ganzen Abend mit dir zusammen. Wir hätten auf sie gewartet. Sie wollte mit uns über eine Nightclub-Story sprechen, die wir gerade schreiben — was so im Trend liegt und so weiter. Ich wollte das nicht weiter ausführen. Wieso? Du klingst überrascht.« Er legte seine Zigarette hin und griff nach einer Scheibe Toast mit Butter.
    »Ich dachte, sie behalten dich zu deiner eigenen Sicherheit da. Das machen sie doch manchmal, oder nicht? Du hast ihnen von Tony erzählt, oder?« Ich dachte hastig nach. Er antwortete nicht. »Keith?«
    »Nein, hab ich nicht.«
    »Keith... wie kommen sie auf den Gedanken, wir könnten etwas mit Cheryl LeMats Tod zu tun haben?«
    »Herrgott, das weiß ich doch nicht, oder? Ich weiß bloß, daß dieser schwere Junge aus dem East End mit seinen Kötern hinter mir her ist.« Er war aufgestanden und humpelte aufgeregt herum. Er schaute aus dem Fenster und drehte sich dann zu mir um. »Ich habe St. John gesagt, daß es Levi war, der Cheryl ermordet hat.«
    Ich bemühte mich, schockiert auszusehen. »Aber das wissen wir doch gar nicht! Wenn St. John Tommy umgebracht hat, dann bringt er dafür auch Tony um. Da wird er nicht zweimal nachdenken. Wieso hast du der Polizei nichts gesagt? Wir müssen Sie aufhalten!« Ich fand, ich zog meine Nummer mindestens so gut ab wie er seine. All diese Lügen, Keith. All diese Lügen.
    »Ich wollte ihn loswerden«, sagte er. »Hoffentlich bringen die beiden Scheißer sich gegenseitig um, diese mörderischen Drecksäcke. Sie haben sich gegenseitig verdient. Hacken dauernd auf kleinen Leuten herum. Na, jetzt können sie mal auf einander rumhacken.«
    »Aber wieso Tony? Was hast du mit Tony zu schaffen? Was ist, wenn er sie nicht umgebracht hat, wenn er überhaupt niemanden umgebracht hat?«
    Er gab keine Antwort, sondern setzte sich wieder auf das Sofa und trank einen Schluck Kaffee. Ich setzte mich ihm gegenüber und beobachtete ihn. Er war so überzeugend, so klar in dem, was er tat, und wie recht er hatte. Dieser große verwöhnte Junge mit seinen Sommersprossen und den Haaren, die ihm so weich in die Stirn fielen, war so zuversichtlich in seiner Grausamkeit; in aller Ruhe riß er Schmetterlingen die Flügel ab und sperrte Frösche in Plastikbeutel. Kein Gewissen. Carla war auch so gewesen. Ich erinnerte mich, wie ich dagesessen und ihr zugesehen hatte, wie sie Verse aus ihrem schwarz-rosa Buch vorgelesen hatte: >In manches grüne Tal treibt der abscheuliche Schnee; Zeit bricht versponnene Tänze und den strahlenden Bogen des Tauchers.< Das Gedicht hatte mich beunruhigt, aber Carla hatte den Rhythmus
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