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Liebe, Lust und Lesebrille

Liebe, Lust und Lesebrille

Titel: Liebe, Lust und Lesebrille
Autoren: Felicitas Roemer
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Das ist ein Fehler. Lieber sollten wir auch im sexueller Hinsicht immer mal wieder zu der schönen (oben schon erwähnten) Moeller’schen Grundannahme zurückkehren: »Ich bin nicht du, ich weiß dich nicht.« Denn auch wenn wir schon eine gemeinsame sexuelle Geschichte miteinander haben, so bringen wir doch sexuell sehr unterschiedliche Profile mit in die Partnerschaft. Und wir verändern und entwickeln uns ja auch. Je mehr jeder von seinem sexuellen Profil mit einbringen kann, desto reicher und lebendiger wird das Liebesleben sein.
    So sollten wir auch an unserer Differenzierung arbeiten, also weiterhin versuchen, ein stabiles Selbst auszubilden, das in gewisser Weise unabhängiger vom Partner macht. Denn nur wer ein stabiles Selbst hat, kann auch »im engen Kontakt zu anderen sein Identitätsempfinden […] wahren« 22 . Das ist in Partnerschaften ohnehin Gold wert, aber natürlich auch der Sexualität sehr zuträglich.
    Je differenzierter jemand ist,
desto unabhängiger wird er von der Bestätigung des Partners sein,
desto besser kann er bei sich bleiben, auch wenn der andere die eigenen Wünsche ablehnt oder sich nicht bestätigend verhält,
desto besser kann er eigene Ängste regulieren und desto weniger ist er darauf angewiesen, dass der Partner ihm diese Ängste nimmt,
desto selbstreflexiver und selbstbewusster ist er; er ist sich dann seiner eigenen Identität bewusst und braucht nicht immer den anderen als Krücke seiner selbst,
desto weniger muss er den Partner funktionalisieren; er braucht ihn also weniger, um eigene Wunden zu heilen oder das eigene Selbstwertgefühl zu stabilisieren,
desto besser kann er seine Gefühle wahrnehmen, ohne sich ihnen ausgeliefert zu fühlen,
desto eher ist er in der Lage, etwas von sich zu zeigen und sich dem Partner zu offenbaren,
desto unabhängiger ist er von einer »Gegenleistung« des Partners,
desto besser kann er Gefühle, Wünsche und Äußerungen des Partners akzeptieren, ohne diese gleich übernehmen zu müssen,
desto besser ist er in der Lage, den Partner als unabhängige Person zu sehen, der nicht für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zuständig ist und der ebenso für sich selber verantwortlich ist,
desto weniger Angst vor Ablehnung wird er haben; dadurch kann echte und tiefe Intimität überhaupt erst entstehen,
desto gelassener kann er bleiben, wenn der Partner heftig reagiert, laut wird oder ihn die Angst überkommt. 23
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    Du und ich: Wo stehen wir?
    An welchem Punkt der Differenzierung stehen Sie? An welchem Punkt der Differenzierung steht Ihr Partner? (In der Regel sind sich Partner in ihrem Differenzierungsgrad übrigens sehr ähnlich. Es ist also relativ unwahrscheinlich, dass der eine Partner sehr viel differenzierter ist als der andere.) Fragen Sie sich:
Inwieweit sind Sie von der Bestätigung durch Ihren Partner abhängig?
Wie ist das bei Ihrem Partner?
Und wie könnten Sie mehr zu sich selber finden und innerlich unabhängiger davon werden?
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    Um es nochmals klarzustellen: Es geht keineswegs darum, sich emotional abzuwenden oder zurückzuziehen. Es geht auch nicht darum, unverletzbarer zu werden oder gar »dichtzumachen«. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, einerseits ganz man selbst zu sein und dadurch auch andererseits ganz bei dem Partner sein zu können, also sich zu öffnen, sich zu zeigen und dadurch auch verletzbar zu machen. Das kann man erst, wenn man weiß, dass man Kränkungen auch ertragen kann, dass man nicht gleich sein ganzes Selbstbewusstsein verliert, wenn man vom Partner nicht dauernd Bestätigung, sondern auch mal Kontra oder eine Abfuhr erfährt. Das gelingt erst, wenn wir eine gewisse innere Stabilität und Souveränität gewonnen haben. Insofern ist die Lebensmitte ein sehr günstiger Zeitpunkt, in der Partnerschaft und der Sexualität noch einmal einen qualitativen Quantensprung zu wagen! Wir sind jetzt reif dafür!
    Wenn es speziell um das Thema »Sexualität« geht, könnten folgende Fragen relevant sein:
Kann ich mich bedürftig zeigen, ohne Angst haben zu müssen, ausgenutzt, schlecht behandelt oder verletzt zu werden? Wenn nicht: Woher kommt das?
Wie sieht es mit meiner Hingabefähigkeit aus? Kann ich mich und meinen Körper meinem Partner/meiner Partnerin wirklich anvertrauen? Oder fühle ich mich schnell ausgeliefert?
Kann ich eine »Abfuhr« (»Nein, Schatz, heute nicht!« oder »Das finde ich aber merkwürdig, was du da machst!«) aushalten, ohne mich schlecht zu fühlen?
Lust auf mehr Intimität?
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