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Liebe in groben Zügen

Liebe in groben Zügen

Titel: Liebe in groben Zügen
Autoren: B Kirchhoff
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Schulzeit verbracht hatte, zehn Jahre Internat Aarlingen. Bühl sprach leise, die Blicke gerecht verteilt; er trank nur Wasser zum Essen, erst später einen Grappa – schon der Schlusspunkt, sein Aufbruch. Vila ging noch bis zum Hohlweg mit, das Übliche bei neuen Gästen. Jetzt immer abwärtslaufen, sagte sie, wir sehen uns morgen noch einmal. Und ich beneide Sie um Ihr Zimmer, es hat den besten Blick im Hotel, ich habe es schon vor Wochen reserviert. Außerdem ist es ein historisches Zimmer: Der Schriftsteller Gide hat dort einen ganzen Spätsommer verbracht. Oder machen Sie sich nichts aus solchen Dingen? Sie gab ihm die Hand, und wieder sein Griff um ihre Finger, als hätte sie keinen Daumen. Für heute reicht es mir, dort nur zu schlafen – ruhige Worte im Weggehen.
    Renz saß noch auf der Terrasse, als Vila zurückkam, er hatte Wein von oben geholt, ihr letzter gemeinsamer Abend in dem Sommer, aber ein anderer letzter Abend als in all den Jahren zuvor; sie würde morgen abreisen, weit weg, er noch bleiben, Besuch empfangen. Und gefällt er dir? Vila nahm das Glas, das Renz ihr hinhielt, sie stieß mit ihm an, auf das Leben in Katrins Bauch, auf den Abschied. Seltsamer Mensch, sagte er, wahrscheinlich zwei linke Hände. Ich lade ihn morgen zum Essen ein. Übermorgen ist ja diese Frau schon da.
    Und kommt sie nun mit der Fähre? Vila sah über den Glasrand auf Renz’ faltige Stirn: die einer Vierzigjährigen, oder wie alt Die Nette war, interessant erscheinen mochte, lebensgeprägt, und dabei waren es nur Folgen von zu viel Sonne und den Zigaretten bis zu Katrins Geburt. Falls sie raucht, sagte Vila, und am Telefon hat es so geklungen, soll sie das nur im Garten tun. Oder hat sie gerade aufgehört, aber muss noch husten, du kennst sie doch. Also was? Vila trank einen Schluck, wieder mit Blick über den Glasrand: Renz schenkte sich nach, auch seine Antwort eine Art Nachschenken. Was weiß ich, ich kenne sie nur etwas. Ja, sie raucht, in dem Geschäft für eine Frau normal. Wann geht dein Flug? Warum will Kati überhaupt, dass du kommst, ist alles in Ordnung?
    Kati ist zum ersten Mal schwanger, da ist nichts mehr in Ordnung, das kennst du doch auch etwas – Vila leerte ihr Glas und ging ins Haus. Ich hab hier noch den halben Vormittag, rief sie, dabei schon ihre Schritte auf der Treppe, fast eine Flucht. Renz hörte sie noch ins Bad gehen, die Tür hinter sich abschließen, das tat sie, seit er häuslicher geworden war, fixierter auf sie, ohne Dinge hinter ihrem Rücken, zuletzt mit der Gegenspielerin in einer Restaurantserie; deren Rolle war durch ihn gewachsen, das macht dankbar, und er hatte sie auch nur etwas gekannt, aber anders etwas als die Mattrainer, mit der er keine Sekunde im Bett war. Dafür hatten sie schon auf Raucherbalkonen zusammengestanden, in München, in Köln, in Berlin, er hatte sie hinausbegleitet, um irgendein Gespräch über Filme fortzusetzen, und einmal hatten sie in Frankfurt Mittag gegessen, bei einem Italiener an der Messe, nicht seine Gegend, was auch einiges hieß. Sie hatten über die Fernsehlandschaft gesprochen, wie es immer schwieriger werde, etwas Neues zu platzieren, und am Ende, beim Espresso, war es ein Gespräch über die Landschaft der Ehe, wie schwierig es war, dort die sicheren Pfade zu verlassen. Wenn er das überhaupt wollte, er hatte doch alles: das Glück einer junggebliebenen Frau, die ihn nicht einengte, die Genugtuung des Geldes, das ihm durch seine Arbeit zufloss, eine komplizierte, aber schöne Tochter, dazu bald ein Enkelkind. Und auch erstmals einen Mieter, offenbar sogar gescheit und, wie er fand, für diese Nacht angemessen untergebracht.
    DAS Eckbalkonzimmer im Hotel Gardesana am kleinen Hafen von Torri oder Torri del Benaco, nach dem alten Namen des Sees, Lacus Benacus, war von dem Schriftsteller André Gide im Spätsommer achtundvierzig (Renz’ Geburtsjahr) in der vergeblichen Hoffnung bewohnt worden, dort für immer einzuschlafen, während Bühl nicht einmal die Hoffnung hatte, überhaupt einzuschlafen. Also machte er Licht und griff zu seinen Franziskus-Notizen, einem Blätterberg aus Versuchen über den Anfang des Buchs, der eigentlich klar war. Die erste Seite müsste vom Weinen handeln – Franz war ein Meister darin –, denn was erzählt stillschweigend mehr als das Weinen, ob vor Kummer, Glück oder Wut, aus Berechnung oder, heutzutage seltener Fall, wenn ein Romantiker aus uns weint? Und ob die Tränen nun befreien oder andere erpressen,
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