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Liebe auf eigene Gefahr Roman

Liebe auf eigene Gefahr Roman

Titel: Liebe auf eigene Gefahr Roman
Autoren: Emma McLaughlin
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KAPITEL
    22. Dezember 2005
    Als wir die schneebedeckte Auffahrt meiner Eltern hochfahren und unsere Scheinwerfer die Kolonialstilfassade erfassen, lehne ich mich ungeduldig im Taxi vor und schiele durch die vereiste Scheibe. Ich wusste zwar, dass sie letztes Jahr die Dachschindeln gelb streichen lassen haben, aber ein Teil von mir ist von der Veränderung immer noch schockiert, so als hätte die Zeit aus Rücksicht auf meine Abwesenheit stehen bleiben müssen.
    »Das macht dreiundfünfzig Dollar.« Er schaltet das Taxometer aus und klappt die Sonnenblende herunter.
    Während ich nach meiner Umhängetasche greife, die heruntergefallen ist und auf dem Boden hinter dem Fahrersitz klemmt, erblicke ich ein aus dem Schnee ragendes Maklerschild. Angestrengt starre ich in die fast vollständige Dunkelheit und mache ein rechteckiges Plakat mit der Aufschrift VERKAUFT aus, das jemand auf dem Gipfel der Schneeverwehung aufgestellt hat. Wie bitte?
    »Miss? Dreiundfünfzig Dollar.«
    »Ach ja …« Ich wühle in meinem Geldbeutel und spule dabei die Telefongespräche der letzten Monate ab, um zu ermitteln, wann genau mir entgangen ist, dass das Haus zum Verkauf stand. »Danke.« Ich gebe ihm mein restliches Bargeld, greife nach dem Türöffner und blicke auf die schwarzen Äste des vor mir aufragenden chinesischen Ahorns hinaus, den sie an meinem letzten Tag in der Middle School gepflanzt haben. An diesen Ästen werden nun offensichtlich anderer Leute Enkel schaukeln.

    »Miss? Wollen Sie kein Wechselgeld?«
    »Wie? Nein, behalten Sie es. Fröhliche Weihnachten.«
    »Gleichfalls.«
    Als ich die Tür öffne, weht mir eine eisige Windböe entgegen. Sobald ich die Beine hinausschwinge und meine Füße in den Schnee stelle, saugt sich der Stoff meiner Turnschuhe voll, und der Kälteschock erfasst mich wie ein Kurzschluss. »Hah! Hah! Hah!«, schreie ich, während ich zum Haus renne und mich selbst vor Augen habe, wie ich in einem Alter, als Kälteunempfindlichkeit zum Coolsein gehörte, todesmutig nach draußen sauste und barfuß die Post hereinholte.
    An den Rosenspalieren bleibe ich stehen und grabe – »Hah! Hah! Hah!« – beim trüben Schein der nachbarlichen Weihnachtsbeleuchtung wie eine Wahnsinnige an der Stelle, wo eigentlich das Zinnienbeet sein müsste. Der Schnee überzieht meine nackten Hände mit Nadelstichen, als ich nach einem Stein taste, dessen Oberfläche unnatürlich glatt ist. Ich ziehe ihn heraus und nehme den Schlüssel aus seinem hohlen Plastikkern. Nachdem ich Gott dafür gedankt habe, dass meine Eltern nie dazu gekommen sind, ihr Sicherheitssystem zu verbessern, flitze ich die Verandastufen hoch und schließe die Eingangstür auf.
    Ich werfe die Tür hinter mir zu, lasse meine Tasche auf den Boden gleiten, kicke die nassen Turnschuhe weg und kauere mich zusammen, um die Wärme in meine nackten Zehen zurückzukneten. Dann schalte ich die Deckenbeleuchtung ein und drehe den Thermostat automatisch auf rücksichtslose zwanzig Grad hoch. Ich kann einfach nicht glauben, dass meine Eltern Heizung und Elektrizität immer noch als Luxus betrachten, obwohl seit ihrer Nachkriegskindheit ein weiteres Jahrzehnt vergangen ist. Ein Stockwerk tiefer erwacht klirrend der Heizkessel und gesellt sich zum gleichmäßigen Ticken der Wanduhr. Ich schlinge die Arme um die Brust und versuche anzukommen, versuche,
Anker zu werfen, versuche, die Tatsache, dass unser Haus verkauft ist, zu begreifen. Dann fasse ich unter mein Nachthemd, um die nasse Yogahose abzuschälen und sie an den Hutständer zu hängen, neben die verblasste venezianische Maske, die ich im Kunstunterricht gemacht habe. Ich berühre die glitzernde dreieckige Nase und schaue auf den roten Glitzerstaub auf meiner Fingerspitze hinab, gerührt darüber, dass zwischen Dads Sammlung von Red-Sox-Baseballkappen immer noch ein Beweis für meine Anwesenheit hängt.
    Unter der Hutablage, dort, wo eigentlich der Garderobenspiegel hängen sollte, sind auf der cremefarbenen Wand nur noch dunkle Umrisse zu sehen. Ich schaue zur Treppe hinüber, wo weitere rechteckige Flecken die Stellen markieren, an denen Dad und ich nach unserem Einzug Pflanzenillustrationen aufgehängt hatten.
    Mutlos gehe ich durch die Tür ins Esszimmer und bleibe abrupt stehen, als ich sehe, dass Großmutter Kays Walnusstisch verschwunden ist, der Perserteppich zusammengerollt an der Wand lehnt und der Boden übersät ist mit Kisten voller in Noppenfolie verpackter Bilder. Ich drehe den Dimmer hoch und
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