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Lichtspur

Lichtspur

Titel: Lichtspur
Autoren: Chris Moriarty
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Augen.
    Sie widmete den neuen Rekruten besondere Aufmerksamkeit, redete ihnen gut zu, gönnte ihnen ein aufmunterndes Lächeln, mit dem sie ihre Bedenken im Hinblick auf diese Mission überspielte. Als sie sich über das Gewehr des Jüngeren beugte, rutschte ihr das Kruzifix aus dem Hemdkragen und schwang in einem goldenen Aufblitzen hin und her.
    »Das ist hübsch«, sagte der Junge, wurde rot und fügte ein etwas verspätetes Major hinzu. »Wo haben Sie das her?«
    Sie schob es in ihr Hemd zurück. »Mein Vater hat’s mir geschenkt.«
    Sie sah noch nach den anderen und hockte sich dann vor Kolodny hin. Bei Kolodny gab es nichts zu überprüfen – dafür war sie zu sehr Profi. Li wollte sich nur von ihr verabschieden, bevor Cohen sie übernahm.
    »Nun gut«, sagte Kolodny. »Das könnte interessant werden. Endlich geht’s mal wieder um was.«
    Li zuckte die Achseln. »Sieht so aus.«
    »Schade, dass ich nichts mitbekommen werde.« Kolodny grinste mit gebleckten Zähnen. »Wenn wir wieder zu Hause sind, musst du mir erzählen, wie’s war.«
    »Werde ich machen«, sagte Li.
    Sie beugte sich vor, um Kolodnys Karabiner zu überprüfen. Es konnte nicht schaden. Und Kolodny kannte sie gut genug, um deswegen nicht beleidigt zu sein. Als sie eine Hand ausstreckte, rutschte wieder das Kruzifix heraus.
    Kolodny bekam es zu fassen. Bevor Li reagieren konnte, wickelte sie die Kette um den obersten Knopf an ihrem Hemdkragen. »Besser so, oder?«

    Li sah ihr in die grauen Augen. »Cohen?«
    Er lächelte. »Du merkst es immer«, sagte er. »Wie machst du das?«
    Li stand auf, überquerte noch einmal das Flugdeck und setzte sich ihm gegenüber. Wenig später sang Kolodnys rauchige Altstimme einige Zeilen aus einem Lied von Charles Trenet.
    Es war Cohens Lieblingslied – oder zumindest sein Lieblingslied, wenn ihnen etwas bevorstand, das unangenehm zu werden versprach. Sie hatte ihn nur einmal gefragt, was es mit dem Lied auf sich hatte, und er hatte ihr empfohlen, sich etwas Mühe zu geben und sich kundig zu machen, aber sie hatte lediglich eine Handvoll längst toter, nicht interaktiver Sites und einige unverständliche Anspielungen auf die französische Fremdenlegion gefunden, die sie rätseln ließen, wie alt Cohen tatsächlich war.
    »Sind wir bereit?«, fragte sie.
    Die einzige Antwort, die sie erhielt, waren noch ein paar Zeilen des Liedes, diesmal nicht von Kolodnys Stimme, sondern online von Cohens flüssigem Tenor gesungen:
    Quand tu souris, tout comme toi je pleure en secret.
Un rêve, chérie, un amour timide et discret.
    Ihr Orakel übersetzte ihr den Text, aber sie hatte nicht die geringste Ahnung, was geheime Träume oder Singen für Geld mit Techno-Operationen zu tun haben könnten.
    Dann wurde die Verbindung hergestellt, und der mächtige Sog der verknüpften neuralen Netzwerke, aus denen die KI bestand, schwemmte sie wie ein Strom von Daten aufs Meer hinaus. Cohen sorgte dafür, dass sie nicht den Kontakt verlor, konfigurierte die Verbindung, beseitigte Störungen und brachte die Mannschaft einen nach dem anderen online, bis Li sieben deutliche Stimmen hören
konnte. Nur Kolodny blieb draußen; ihre Reflexe und Einsatzprogramme standen Cohen zur Verfügung, aber sie selbst blieb für die Dauer des Angriffs ausgeblendet, und ihr Überleben hing von den Entscheidungen ab, die Cohen während des Overlays traf.
    , sagte Li der Mannschaft.
    Sie schaltete ihr Ortungssystem aus und spürte, dass die anderen dasselbe taten. Dann trat eine lange, eisige, verwirrende Pause ein, bis Cohen endlich die Kontrolle übernahm und den Antriebssystemen die nötigen Kurskorrekturen übermittelte. Dies war für Li immer der schlimmste Moment. Das beängstigende, ins Unterbewusste reichende Gefühl, dass der Datenstrom unterbrochen war. Die bestürzende Gewissheit – kaum vorstellbar für jemanden, der als Erwachsener praktisch ununterbrochen online gewesen war –, dass sie nicht mehr wusste, wo sie war, dass nur Cohen sie davor bewahren konnte, sich zu verirren.
    Schließlich stellte Cohen die Verbindung zu den Navigationssystemen her, und Li spürte, dass vor Erleichterung ihre Muskulatur erschlaffte. Dann aber, ohne jede Vorwarnung, geriet die Verbindung ins Stocken und brach ab. Wo Li noch vor ein paar Sekunden nur die glaziale Weite der KI-Netzwerke gespürt hatte, tauchte Kolodny wieder auf.
    Einer der jungen Rekruten stöhnte, als der Schwindel erregende Rückstoß des Datenstroms
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