Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lichterspiele

Lichterspiele

Titel: Lichterspiele
Autoren: Rosamunde Pilcher
Vom Netzwerk:
Mann von bescheidener Herkunft, der sich unglaub-licherweise irgendwie, irgendwann selbst das Ma len beigebracht hatte. Marcus hatte ihn letztes Jahr in New York kennengelernt, war von seinen Arbeiten augenblicklich beeindruckt gewesen und hatte ihn stehenden Fußes eingeladen, in London auszustellen. Jetzt hingen seine prachtvollen Bilder an den strohgrünen Wänden der Galerie Bernstein, und an diesem düsteren Morgen schienen sie den Raum mit dem Grün und dem Sonnenschein eines gesünderen Klimas zu erfüllen. Die Kritiker liebten ihn. Seit der Ausstellungseröffnung vor zehn Tagen war die Galerie nicht ein einziges Mal leer gewesen, und am ersten Tag waren sämtliche Bil der verkauft.
    In diesem Augenblick jedoch befanden sich nur drei Personen in der Galerie. Eine davon war Peggy, adrett und unaufdringlich hinter ihrem nierenförmigen Schreibtisch, mit den Druckfahnen eines neuen Kataloges beschäftigt. Dann war da ein Mann mit einem schwarzen Hut, geduckt wie eine Krähe, der gemächlich eine Be sichtigungsrunde drehte. Die dritte Person war eine junge Frau, die auf dem mit Knöpfen verzierten Rundsofa mitten im Raum saß. Sie trug ein knallgrünes Kostüm und war von Gepäck umringt; an scheinend hatte sie die Galerie Bernstein in der irrigen Annahme betreten, daß es sich um den Wartesaal eines Bahnhofs handelte.
    Robert gelang es mit beachtlicher Selbstbeherrschung, so zu tun, als wäre sie nicht da. Er ging mit Mr. Cheeke über den dicken Tep pich zum Haupteingang; Robert hielt den Kopf gesenkt, um die letzten Worte von Mr. Cheekes Geplauder mitzubekommen. Die Glastür öffnete sich und fiel hinter ihnen zu, dann wurden sie von der Düsternis des trostlosen Vormittages verschluckt.
     
    Emma Litton fragte: „War das Mr. Morrow?“
    Peggy sah auf. „Ganz recht.“
    Emma war es nicht gewöhnt, ignoriert zu werden. Morrows flüchtiger Blick hatte ihr Unbehagen bereitet. Sie wünschte, Marcus wäre nicht in Edinburgh. Sie schlug die Beine übereinander und stellte dann wieder beide Füße auf den Boden. Draußen hörte man das Geräusch eines abfahrenden Taxis. Gleich darauf öffnete die Glastür sich erneut, und Robert Morrow kam in die Galerie zurück. Er sagte kein Wort, steckte nur die Hände in die Taschen und be trachtete gelassen Emma und das Chaos, das sie umringte.
    Nie in ihrem Leben hatte sie einen Mann gesehen, der weniger nach einem Kunsthändler aussah. Er war der Typ, der erschöpft und unrasiert nach einer Einhand-Weltumsegelung von seinem kleinen Boot geholt wird oder der mit dunkler Schutzbrille vom Gipfel eines bis dahin unbezwungenen Berges blickt. Aber hier, in die edle, schöngeistige Atmosphäre der Galerie Bernstein, paßte er über haupt nicht hinein. Er war sehr groß, breitschultrig, langbeinig; all dies wurde durch seinen tadellos geschneiderten dunkelgrauen Anzug noch betont - und stand gleichzeitig im Widerspruch dazu. Seine Haare mochten einmal rot gewesen sein, aber die Jahre hatten sie zu einem sanften Goldbraun gemildert; im Kontrast dazu wirk ten seine grauen Augen blaß wie Stahl. Er hatte hohe Backenkno chen und ein kräftiges, eigensinniges Kinn. Emma fand diese merk würdige Kombination von Gesichtszügen durchaus attraktiv, doch dann fiel ihr ein, daß Ben immer behauptete, der Charakter eines Menschen zeige sich nicht in seinen Augen, wo Emotionen flüchtig aufflackern und jederzeit verdeckt werden könnten, sondern in der Form seines Mundes. Und der Mund dieses Mannes war breit, mit einer geschwungenen Unterlippe, und sah jetzt aus, als gebe er sich alle Mühe, nicht zu lachen.
    Die Stille wurde ungemütlich. Emma versuchte ein Lächeln. „Hallo“, sagte sie.
    Robert wandte sich hilfesuchend an Peggy. Peggy grinste. „Die junge Dame möchte zu Mr. Bernstein.“
    „Bedaure“, sagte Robert, „er ist in Edinburgh.“
    „Ja, ich weiß, das hat man mir gesagt. Es geht bloß darum, also ich wollte, daß er mir einen Scheck einlöst.“ Er wirkte noch verblüffter als vorher. Emma fand, es sei Zeit für eine Erklärung. „Ich bin Emma Litton. Ben Litton ist mein Vater.“
    Seine Verblüffung schwand. „Aber warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Verzeihen Sie, ich hatte keine Ahnung.“ Er kam nä her. „Guten Tag...“
    Emma stand auf. Der Strohhut, der auf ihrem Knie lag, flog auf den Teppich, und da blieb er liegen und vergrößerte das Tohuwa bohu, das sie bereits in dem elegant ausgestatteten Raum angerichtet hatte.
    Sie reichte ihm die Hand. „Ich...
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher